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Hiobs Klage - Gottes Antwort - Predigt zur Eröffnung der Hiob-Foto-Ausstellung am 5.3.06, Lukaskirche, von Pastorin Susanne Bostelmann
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Titelfoto der Saseler Hiob-Ausstellung 2006 |
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Liebe Gemeinde,
„Leiden ist Leiden und nichts daneben. …“
Das sagt eine Frau (Carola Moosbach), die in ihrer Kindheit missbraucht worden ist. Was hat Gott damit zu tun? Hat Gott etwas damit zu tun?
„Leiden ist Leiden und nichts daneben. …“
Das ist der verzweifelte Ruf nach Würde im Leiden, das zu schwer ist, als dass ein Mensch es erklären könnte. Für diesen Ruf steht Hiob:
Hiob ist ein rechtschaffener und gottesfürchtiger Mann, der nicht nur seinen gesamten Besitz und seine Kinder verlor, sondern auch von einer üblen, geschwürigen Krankheit befallen wurde. Damit ist er aus der Bahn geworfen: seine gesellschaftliche Stellung hat er mit dem Besitz verloren, seine Zukunft ist mit seinen Kindern gestorben, und durch die Krankheit ist er gesellschaftlich isoliert.
Bild: isoliert
Dieses Bild der Ausstellung heißt „isoliert“, und dieser abgebrochene Baum schreit zum Himmel zu wie Hiob es tat:
Er klagt Gott an in seinem Leid, verflucht den Tag seiner Geburt, er wünscht sich, besser nie gelebt zu haben als dies zu ertragen.
Drei Freunde kommen vorbei, und erst ist die Isolation durchbrochen, denn sie trauern mit ihm, schweigen 7 Tage und Nächte lang, ertragen gemeinsam, was unsagbar ist.
Doch als Hiob seine Klage beginnt, legen ihm die Freunde Erklärungen für sein Leid nahe: Wahrscheinlich hast du doch deinen Anteil daran, denk mal nach, es wird schon einen Grund geben, dass es dir so ergeht, wenn du ehrlich zu dir bist …
Die Freunde sind Hiob so keine Hilfe mehr, sondern werden im Verlauf der Gespräche zu seinen Gegnern.
Nun ist Hiob ganz allein auf sich gestellt. Er bäumt sich auf in seiner Einsamkeit, besteht darauf: Leiden ist Leiden und nichts daneben!
Und, völlig größenwahnsinnig und doch berechtigt in seinem Leiden klagt er Gott an, fordert er von Gott eine Antwort: Lass mich wissen, warum du mich vor Gericht ziehst…, denn ich bin unschuldig.
Hiob fordert für sich Würde in seinem Leiden ein.
Was Hiob nicht weiß, aber wir alle: Im Himmel hat es vorher ein Gespräch gegeben, das Hiobs Leiden begründet. Gibt Gott Hiob, den gerechten und frommen Gläubigen, aufgrund einer Wette dem Satan preis? Dann wäre Gott grausam und ein willkürlicher Spieler, der, um seine Ehre zu retten, seine Gläubigen benutzt und in Versuchung führt. In der Tat ist diese Szene lange so ausgelegt worden, aber lassen Sie uns genauer hinsehen.
Gott hält Hof, und auch der Satan, der Widersacher oder Gegenspieler Gottes erscheint. Er ist gekommen, um Gottes Macht herauszufordern und seinen eigenen Herrschaftsbereich zu stärken. Der Satan, der Widersacher ist die Macht, die Fehler aufspürt und ihnen eine zerstörerische Dynamik gibt, eine Macht, die gutes Leben verhindert und hintertreibt. Er ist das Symbol für das Böse: es wird durch menschliche Untaten hervorgerufen, die eine Eigendynamik entwickeln, wenn sie so viel Macht über Menschen bekommen. Und das Böse verdreht, was eigentlich gut oder nützlich sein könnte: Das Geld z.B. ist in größeren Gemeinschaften ein sinnvollen Zahlungsmittel, aber es kann zu etwas Bösen werden, wenn der Geldgewinn erste Priorität in menschlichem Handeln bekommt. Dann hat der „Widersacher“ die Macht über diese Menschen und es entsteht Unheil aus diesem Denken.
Der Satan beansprucht vor Gott die Erde als sein Herrschaftsgebiet. Aber Gott wirft sein geliebtes Kind Hiob in die Waagschale: „Hast du acht auf meinen Knecht Hiob gehabt? Denn es ist nicht seinesgleichen auf Erden, er ist fromm und rechtschaffen, gottesfürchtig und meidet das Böse. Nein, sagt Gott dem Satan, dein Herrschaftsbereich ist begrenzt durch die Menschen, die nach Gottes Barmherzigkeit leben, schau Hiob an.
Den Satan aber denkt nicht in Kategorien von Barmherzigkeit, er rechnet auf: Ist es umsonst, dass Hiob Gott fürchtet, fragt er. Hiob tue dies nur, weil es ihm so gut geht, er reich an Gütern und Kindern sei. Nicht eine liebevolle Beziehung, sondern ein Handel liege Hiobs Treue zugrunde.
Hier zeigt sich die Perfidität des Verdrehers, der Liebe zu einem aufrechenbaren Moment macht: Ist es umsonst, dass Hiob Gott fürchtet? Darin steckt der Zweifel, ob Hiob Gott ohne etwas zu erwarten liebt, aber auch die Unterstellung, dass diese Liebe und Treue vergeblich sind. Eine enorm zerstörerische Kraft geht von dieser Frage aus. Denn wenn sich Hiobs integeres Verhalten für Hiob lohnt, wird er verdächtigt, er diene Gott nur um des Lohnes Willen. Bewahrt aber Hiob seine Frömmigkeit ohne einen Nutzen, fällt der Verdacht auf Gott, dass er die Erde und die Menschen der Sinnlosigkeit überlassen habe.
„Haut für Haut“, argumentiert der Gegenspieler also: wenn Hiob leiden muss, wird er Gott abschwören, davon ist der Satan überzeugt. Damit stellt der Feind des Lebens die Menschlichkeit auf Erden in Abrede und untergräbt Gottes Gottheit.
Denn wenn Menschen nicht lieben, ohne etwas zu erwarten, also umsonst, dann gibt es keine Liebe, keine Solidarität mit denen, die nichts geben können, keine Gnade. Dann hat Gott den Einflussbereich auf der Erde verloren. Die gegenspielerischen Mächte bemühen sich, dass es so wird. Dann wäre die Isolation jedes einzelnen Menschen vollkommen.
Dasselbe versucht der Satan auch 1000 Jahre später, als er Jesus in der Einsamkeit der Wüste trifft. Der Gegenspieler Gottes bietet Jesus die irdische Macht an. Er verführt ihn zur Macht, die unendlich groß werden würde, wenn Jesus sich darauf einließe: die Steine können Brot werden, die Engel werden dich tragen, und alle Reiche der Welt in ihrer Herrlichkeit würden dir gehören – wenn du Gott absagst.
Es scheint so einsichtig, so verführerisch und leicht – aber Jesus widersteht dem Widersacher: Du sollst anbeten den Herrn, deinen Gott, und ihm allein dienen, daran hält er sich.
Jesus lebt und liebt für Gottes Macht. Damit steht er nicht nur im Gegensatz zur menschlichen Macht, sondern gibt sich auch in deren Hände. Scheinbar machtlos gibt er sich den Gewalten preis, die ihn in sein Leiden und Tod führen. Aber Jesus weiß Gott an seiner Seite, und gerade in dieser Machtlosigkeit richtet er Gottes Macht auf der Erde auf: Der Widersacher und die Mächte des Todes haben zwar Macht über den Körper, aber nicht über uns. Das Leben ist stärker, die Auferstehung zeugt davon.
Zurück zu der Szene im Himmel. Der Widersacher hat Gottes Gott-Sein in Frage gestellt. Gott aber hat seine Macht in die Liebe zu den Menschen gelegt. Gott ist nichts als Gott mit den Menschen, hat sich und die Zukunft der Erde damit den Menschen anvertraut. Und so wird die Frage, ob die Erde zum Machtbereich des Satans oder zu Gott dem Herrn gehört, sich an den Menschen, in diesem Fall an Hiob erweisen. Gott ist ohne die Menschen machtlos. Darum ist Hiob Gottes Argument gegen den Satan. Gott sagt: Siehe, Hiob sei in deiner Hand. Nur an sein Leben darf der Satan nicht.
Gott ist nicht allmächtig, sondern hat sich so sehr an die Menschen gebunden, dass er dem Satan Raum geben muss. Gott rottet nicht das Böse aus, sondern muss die Gottesentfremdung auf der Erde anerkennen. Aber es ist klar: Nicht Gott will oder verursacht das Böse. Der Widersacher schlägt Hiob mit der Krankheit.
Allerdings verhindert Gott es nicht. Und macht sich darum auch verantwortlich für Hiobs Lage. Gott schmerzt es, dass Hiob die Last der Auseinandersetzung mit der lebensfeindlichen Macht tragen muss, und Gott gerät in einer aus den Fugen geratenen Welt in zweifelhaftes Licht.
Dennoch vertraut Gott darauf, dass Hiob die Versuchung besteht, dass er nicht aufrechnet, sondern zu Gott steht. Gott ist da für Hiob, auch wenn Hiob das in seiner Klage nicht spürt: Gott spricht sich für die Menschen aus und gibt damit der Erde eine Hoffnung.
Gott lässt nicht ab von der Liebe, die sagt: Du bist nicht isoliert in deinem Leid, denn ich bin da für dich. Was auch geschieht, du bist einzigartig, mein geliebtes Kind. Erst recht im Leiden und im Kampf mit der Macht des Widersachers. Aus dem isolierten Leidenden wird der Einzigartige
Bild: einzigartig: Das Gegenüber zu isoliert
Der Satan hofft, dass Hiob sein Leiden als Strafe Gottes versteht, oder als Beweis, dass es Gott nicht geben kann. Und das hofft er immer noch bei jedem leidenden Menschen. Gott aber setzt auf uns.
Und Hiob besteht die Versuchung. Er lässt Gott nicht los. Er nimmt Gott ernst als sein Gegenüber. Und er nimmt sich selbst und sein Leiden ernst. Er wütet, schreit Gott sein Leid entgegen – und verwehrt sich gegen aufgepfropfte Begründungen, die mit seinem Leben nichts zu tun haben.
Wie schlimm es für Hiob ist: Er ist nicht von allen guten Geistern verlassen: Er hat immer noch Gott als Ansprechpartner.
Leiden ist Leiden und nichts daneben. Das Hiobbuch und die Ausstellung wollen Mut machen, dem Leid mit aller Heftigkeit ins Auge zu sehen und dabei Gott doch nicht aus den Augen zu verlieren. Denn wir sind Gottes Argumente im Kampf mit den Widersachern der Welt.
Gott verspricht uns: wir dürfen alles sein. Denn Gott ist da und trägt uns gerade im Leid.
Amen
Susanne Bostelmann
Beigefügt ist im Folgenden ein Text zum Thema LEIDEN, der in dem Gottesdienst zur eröffnung der Ausstellung gelesen wurde.
VOM LEIDEN
Carola Moosbach
Leiden ist Leiden und nichts daneben.
Keine göttliche Prüfung für Ungehorsam,
nicht die karmische Quittung für Untaten aus früheren Leben
und auch nicht und auch nicht eine leider unabdingbare Voraussetzung
für angebliche höhere spirituelle Weihen.
Leiden ist einfach nur Leiden.
Und Gott hat damit gar nichts zu tun.
Leiden ist nicht von Gott verhängt,
nicht von Gott gewollt,
nicht durch Gott zu verhindern.
Wer irgendeinen höheren Sinn in das Leiden hineinkonstruiert,
der oder die weicht dem vollen Schmerz,
dem wirklichen Schrei nur aus.
Bei sich selbst und bei anderen.
Und dieses Ausweichen hat Folgen.
Es ist der sicherste Weg für immer im ohnmächtigen,
dumpfen Leiden gefangen zu sein,
ruhig gestellt durch ein spirituelles Trostpflästerchen.
Gott will nicht, dass wir leiden.
Nicht eine Sekunde glaube ich daran,
dass Gott die schrecklichen Erlebnisse meiner Kindheit
für mich gewollt hat.
Gott wollte mich als fröhliches, glückliches Kind,
nicht als vergewaltigtes und misshandeltes Opfer.
Eine andere Frage ist es,
ob und wie die Erfahrung solcher Zerstörung
umgewandelt werden kann
in die Erfahrung von etwas anderem,
in die Erfahrung von Heilung,
in die Stärke einer Überlebenden.
Es ist möglich, dass dies geschieht.
Es ist im besonderem Maße möglich,
wenn ich mich dabei auf Gott als Verbündete stütze.
Und Gott ist mit allen verbündet,
die unschuldig leiden.
Gott ist stärker als alles Leiden dieser Welt
Und kann es trotzdem nicht verhindern.
Das verstehe, wer will oder kann.
Ich verstehe es nicht.
Aber es ist das, was ich erlebe.
- 2 -
Gott hat die Macht,
aus der vollen Wucht meines Schmerzes
etwas Neues entstehen zu lassen.
Auch die schrecklichste Kindheit,
auch die schlimmste Erniedrigung
konnte mich nicht endgültig vernichten.
Gott umschließt meine Wunden
Mit ihrer gewaltigen Liebe.
Manche dieser Wunden heilen durch Gottes Berührung –
Nicht alle.
Die anderen brechen an manchen Tagen wieder auf,
und es tut weh.
Dann stelle ich mir vor,
wie Gott mit unendlicher Sanftheit
in meine Seele hineinpustet
und mich auf diese Weise zu trösten versucht.
Danach tut es immer noch weh,
aber anders.
Gott schüttet ihren Segen aus
Über alle Gedemütigten und Erniedrigten,
So hat sie es versprochen,
so hält sie es auch.
Gott, Du verborgene Weberin,
mit zärtlichem Atem
webst Du mir Heilfäden in die Seele.
Gott, Du Allbarmherzige,
aus Deiner Liebe schöpfe ich
neue Würde und Kraft.
* * *
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