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Worauf vertrauen wir? Predigt zu Septuagesimae im Vicelin- und Lukas-Saal über Jeremia 9,22-23 von Pastorin Susanne Bostelmann

Predigt zum Sonntag Septuagesimae Jeremia 9,22-23
in Sasel am 12.2.06


Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt.

Liebe Gemeinde,

worauf vertrauen wir? Das erarbeiten wir mit euch Konfirmandinnen und Konfirmanden jetzt in den Monaten vor eurer Konfirmation.
Worauf vertraue ich? Worauf baue ich mein Leben? Was gibt mir das Fundament, auf dem ich meinen Weg gehen kann?
Eine spannende Frage, wir könnten jetzt stundenlang darüber reden.
Die Jugendlichen sagen meistens dazu: Ich vertraue meiner Freundin oder meinem Freund. Ich vertraue meiner Familie. Manchmal heißt es auch: Ich vertraue mir selbst, dass ich die Schule schaffe. Oder: Ich vertraue darauf, dass wir Frieden haben und Demokratie.

Ja, darauf vertrauen wir. Gut, wenn es so ist und das Vertrauen hält. Als Erwachsene vertraue ich neben meiner Familie meinem Mann und auch auf mein sicheres Gehalt. Aber bei dieser Aufzählung werde ich schon unsicher, denn die Zeiten sind schwieriger geworden. Wer weiß, ob ich in 25 Jahren noch ein Gehalt kriegen werde, das mich ernährt? Oder werde ich dann überhaupt noch einen Arbeitsplatz haben?
Meiner Gesundheit und Kraft kann ich im Moment vertrauen, aber ich habe schon gelernt, dass beides nachlässt und auch vor der Zeit einbrechen kann. Sie sind kein tragendes Fundament im Leben. Ich vertraue (noch!) auf unser Gesundheitssystem, aber das wird gerade abgebaut.
Sie könnten die Liste mit mir fortsetzen: vieles, auf das wir vertraut haben, das im Wohlfahrtsstaat sicher schien, bekommt Risse, ist nicht mehr unhinterfragt tragfähig. Beziehungen, die lebenslang geplant waren, gehen manchmal schon nach einigen Jahren in die Brüche. Tödliche Krankheiten lassen auch in meinem Bekanntenkreis Menschen vor der Zeit sterben. So ist unser Leben, jetzt, hier, heute. Nicht alles, was mir selbstverständlich scheint, trägt. Nicht alles, worauf ich als Konfirmandin vertraute, hat getragen.

Worauf können wir vertrauen? Was trägt uns?
Der Prophet Jeremia warnt uns in dem heutigen Predigttext, davor, dass wir auf das, was wir aus eigener Kraft geschaffen haben, bauen:
Wer weise ist, rühme sich nicht der eigenen Weisheit,
Und wer stark ist, nicht der eigenen Stärke.
Wer reich ist, rühme sich nicht des eigenen Reichtums…

Sich rühmen ist ein etwas altmodisches Wort, stolz sein auf, würden wir heute vielleicht sagen, oder: sich definieren über, sich verlassen auf.
Also: Wer weise ist, verlasse sich nicht auf die eigene Weisheit,
Und wer stark ist definiere sich nicht über die eigene Stärke.
Wer reich ist, verlasse sich nicht auf den eigenen Reichtum…

Denn, das sagt Jeremia nicht, aber das zeigt das Leben: Diese Eigenschaften sind Gaben – mir geschenkt, aber nicht etwas, worauf ich stolz sein kann. Und: Sie können schneller vergehen als man glaubt.
Davon erzählt der Film Urlaub vom Leben, der gerade in den Kinos läuft. Peter Köster, ein dicker, müder Mann kurz vor 50, ist Kassierer in einer Bank, verheiratet und hat zwei Kinder. Er sagt von sich, dass er nicht unglücklich ist – aber was ihn glücklich macht, kann er nicht sagen. Als ihm immer schlecht ist, im wahrsten Sinne des Wortes, verordnet ihm sein Chef eine Woche Urlaub.

In dieser Woche schaut er sich in seinem Leben um und sieht, dass vieles, auf das er vertraute, nicht trägt: er merkt, dass er eigentlich keine Beziehung zu seinem Kindern hat. Er kennt seine Tochter kaum und nimmt jetzt erst richtig wahr, dass sein Sohn verhaltensauffällig ist. Auch mit seiner Frau hat er sich außer dem Organisatorischen nichts zu sagen, und zufällig entdeckt er, dass sie längst eine Affäre hat - sie ist nicht unglücklich, wie sie sagt, aber glücklich wirkt sie nicht.
All das wird ohne große Dramatik erzählt, eher wahrgenommen. Er dachte, sein Leben mit all den Regelmäßigkeiten trägt ihn. Er dachte, er könne sich auf sich, seine Familie, seine Arbeit verlassen - und dabei war das alles ihm doch eine große Last.
Wer weise ist, verlasse sich nicht auf die eigene Weisheit,
Und wer stark ist definiere sich nicht über die eigene Stärke.
Wer reich ist, verlasse sich nicht auf den eigenen Reichtum…

In der einen Woche bricht vieles für ihn zusammen.
Plötzlich ist alles anders. So wie vorher wird es nie mehr sein.
Auch eine Trennung kann so etwas auch auslösen. Oder der Tod eines geliebten Menschen. Der drohende Verlust meines Arbeitsplatzes, manchmal einfach ein runder Geburtstag, der mich fragen lässt, ob es noch trägt, worauf ich mein Leben baue.
Hinzuschauen, die Frage für mein Leben wirklich zu stellen, worauf ich mich verlassen kann, ist ein erster Schritt. Vielleicht merke ich, dass ich in eine Leere hineinschaue. Vielleicht muss ich ganz neu auf die Suche gehen.

So wie Peter Köster. Er hat eine Woche Zeit, einen Urlaub vom Leben, nur für sich: er hat seiner Familie nichts von dem Urlaub gesagt und geht aus dem Haus wie immer. Erst geht er sogar in die Kantine wie immer, aber langsam verlässt er die eingetretenen Bahnen, streift umher, hat flüchtige Begegnungen mit Menschen, die auch auf der Suche sind.
Langsam erkennt er, dass es mehr Möglichkeiten als seine Art zu leben gibt, und dass es spannend sein kann, Neues auszuprobieren.
Der Film endet offen. Er merkt, dass die Woche nicht reicht und kündigt bei der Bank. Es braucht Zeit herauszufinden, was ihn trägt, wenn das, woran man geglaubt hat, zusammenbricht.
Was Neues kommen könnte, wird nur sehr zart angedeutet.

Ich habe es in einer Szene entdeckt, die mich tief berührt hat:
Einmal fährt er mit einer Taxifahrerin ins Grüne. Beide haben Zeit, sie schauen raus. Sie sagt: Ich weiß gar nicht, warum ich hier mit Ihnen sitze. Sie sehen nicht gut aus, sind nicht interessant, nicht einmal besonders unterhaltsam.
Er lächelt und sagt: das haben Sie aber schön gesagt.

Auf den ersten Blick wirkt es unverschämt, was die Taxifahrerin sagt. Aber es war nicht so gemeint, und er versteht es auch nicht so. Nein, denn eigentlich sagt sie, so verstehe ich es: Sie sehen nicht gut aus, sind nicht interessant oder unterhaltsam. Ich sitze mit ihnen aus einem anderen Grund hier: weil Sie sind wie Sie sind.
Das ist etwas, das trägt. Darum lächelt er.

Wenn ich gesehen werde, wie ich bin, tut mir das gut. Ich war schon immer misstrauisch, wenn es einen Rummel gab um jemanden, der gut aussah, denn ich hatte den Eindruck, dass es dann nur um das Aussehen geht und nicht um die Person. Auch Reiche haben vielleicht viele Freunde, solange, bis kein Geld mehr da ist.
Solche Beziehungen tragen nicht. Hier ist nicht der Mensch gemeint, da werden eher Götzen angebetet. Das weiß Jeremia, und das können wir oft genug erleben.
Aber ein Freund, der weiß, was ich nicht kann und was von mir nicht zu erwarten ist, der wird auch da sein, wenn ich mal nicht so strahlen kann wie sonst.
Auf eine, die sagt: Ich weiß, wie du bist und was du nicht bist, und darum stehe ich zu dir, auf so jemanden kann ich mich verlassen.
So eine Freundschaft bietet Gott uns an.
In einer Welt, in der es keine absoluten Sicherheiten gibt und auch nicht geben kann, bietet Gott sich an. Gott ist absolut verlässlich und treu. Gott ist beständig, auch wenn sich alles verändert und meine Welt zusammenbrechen kann.
Gott verhindert das nicht, dass einbricht, worauf ich gebaut habe. Das gehört zu unserem Leben dazu. Aber Gott ist da für mich, gerade an solchen Punkten.
Gott fragt nicht danach, ob jemand mehr oder weniger weise ist, oder stark oder reich. Gott fragt nach all dem nicht, was uns hier so wichtig ist und Maßstäbe setzt. Gottes Gerechtigkeit heißt Erbarmen. Das heißt, jeder Mensch ist Gott wichtig und wertvoll, unabhängig von meinen Qualitäten, Leistungen und Erfolgen. Zu Gott darf ich kommen in meiner Bedürftigkeit und mit meinen Misserfolgen. Ich bin geliebt mit dem, was mir gelingt und dem, was mir zusammenbricht, ich bin angenommen, so wie ich bin – und darum darf ich mich selbst auch als wertvoll ansehen.
Darauf dürfen wir uns verlassen, und darauf dürfen wir stolz sein: dass wir Gottes Liebe auf unserer Seite haben.
Bei Jeremia heißt es von Gott: Wer sich auf etwas verlassen will, soll sich darauf verlassen, und wer stolz sein will, soll darauf stolz sein: Einsicht zu haben und mich zu erkennen, nämlich zu wissen, dass ich, Gott, Treue, Recht und Gerechtigkeit übe auf der Erde. Denn an solchen Menschen habe ich Gefallen, spricht Gott.
Das ist der Grund, auf dem wir bauen. Darum erarbeiten wir mit den Konfirmand/innen auch immer einen Satz, der sagt, worauf sie bei Gott vertrauen können. Weil die Einsicht über Gott und mich die wichtigste im Leben ist. Und weil ich dann den Götzen der Stärke, des Reichtums, der Schönheit und auch der menschlichen Weisheit nicht so schnell erliege.
Wenn ich es schaffe, auf Gott zu schauen, kann ich auch erkennen, dass diese Götzen nicht nur mich persönlich, sondern auch unsere Gesellschaft bedrohen: Wollen wir, dass sich das Recht des Stärkeren oder das des Reicheren immer mehr durchsetzt? Dass die Wirtschaft und das Gesundheitssystem dabei sind, die Ärmeren, die nicht so Leistungsfähigen auszugrenzen?
Und auch bei der Weisheit, der Forschung ist es wichtig, zu fragen, wem die Forschungen nützen: dem Reichtum oder dem Gemeinwohl der Menschen.
Auf Gott können wir bauen, und auf eine Gerechtigkeit, die anders ist als wir sie oft empfinden oder erwarten.
Gottes Gerechtigkeit ist barmherzig. Gott fragt nicht nach der Menge meiner Leistung, sondern nach dem, was ich brauche.
Und weil Gott mit mir barmherzig ist, kann ich es auch mit mir sein und mit meinen Mitmenschen.
Weil Gott uns ins Recht setzt, können wir einander auch Würde und Lebensrecht zugestehen – und wir müssen es auch. Und wenn wir diese Gaben haben, dann können wir dafür unsere Weisheit, Stärke und Reichtum einsetzen.
Damit Gottes Barmherzigkeit sich in dieser Welt ausbreiten kann. Darauf will ich vertrauen.

Amen

 
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