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Was richtest Du Deinen Bruder? Predigt von Pastor Markus Lehmann am 27.6.2010 in der Vicelinkirche

Predigt in Vicelin – Sasel am 27.6.10 über Röm 14, 10 – 13

Du aber, was richtest du deinen Bruder? Oder du, was verachtest du deinen Bruder? Wir werden alle vor den Richterstuhl Gottes gestellt werden.
Denn es steht geschrieben: „So wahr ich lebe, spricht der Herr, mir sollen sich alle Knie beugen, und alle Zungen sollen Gott bekennen.“
So wird nun jeder von uns Für sich selbst Gott Rechenschaft geben.
Darum lasst uns nicht mehr einer den anderen richten; sondern richtet vielmehr darauf euren Sinn, dass niemand seinem Bruder einen Anstoß oder Ärgernis bereitet.

Liebe Gemeinde,
es ist, wie ich mir das vorgestellt hatte. Warum setzen wir uns in der Kirche eigentlich immer so weit auseinander? Warum sitzen wir so weit voneinander weg? Ist es vielleicht deswegen, damit wir uns nicht auseinandersetzen müssen?
Wem ich nicht zu nahe komme, über den brauche ich mich nicht zu ärgern; wen ich nicht zur Kenntnis nehme, der kann mich nicht in Frage stellen. Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß.
Ich möchte an diesem Kalauer, an diesem Wortspiel mit dem Auseinandersetzen noch ein bisschen verweilen. Was setzt du dich von deiner Schwester weg? Warum setzt du dich deiner Schwester nicht aus? Wir bleiben einander ausgesetzt, auch wenn wir uns nicht auseinandersetzen.
Der Apostel Paulus spielt in unserem Predigttext, eigentlich im ganzen 14. Kapitel des Römerbriefes, mit einem Wort, das ganz viele Bedeutungen hat, das so ähnlich zweideutig ist wie auseinandersetzen, nämlich mit dem Wort krinein. Die Auseinandersetzung geht darum, was ein Christ darf und was er nicht darf. So ganz genau wissen wir nicht mehr, um was es ging, ob man Fleisch essen darf oder nicht, ob man auf die Astrologie etwas geben darf, - ich glaube, im Kern ging es darum, ob ein Christ lachend mutig sein darf oder ob er ängstlich und vorsichtig sein muss. Also: „Ein Christ tut das nicht!“ Oder: ein Christ benimmt sich so und so. Und die andere Seite eben: Ich werde von Gott geliebt. Der mich liebt, liebt mich so wie ich bin. Der mich geschaffen hat, wollte und will mich so. Der mich erlöst hat, hat mich aus den ewigen Selbstzweifeln erlöst. Der mir in das Leben vorangegangen ist, will mich zum Leben führen, der will, dass ich lebendig bin.
Die Auseinandersetzung darum hängt Paulus an dem Wort krinein auf. Das Wort heißt: richten. Denn darauf läuft es hinaus: Wer sich von seinen Geschwistern wegsetzt, richtet sie, verurteilt sie.
Aber das Wort krinein heißt nicht nur richten. Das heißt es erst in dritter oder vierter Bedeutung. Es heißt zunächst einmal: aussuchen, wählen. Dann auch: gutheißen. Über das Entscheiden kommt dann auch die Bedeutung „Verurteilen“ in das Wort hinein. Mit unserem „schätzen“ ist es ähnlich. Ich kann jemanden schätzen. Das kann positiv und negativ sein. „Ich schätze ihn sehr“ ist aber immer positiv, es sei denn, ich sage das abschätzig. Da kommt es auf den Tonfall an.
Nun können wir leider nicht mehr so hören wie die Christen in Rom, die diesen Brief bei Öllampenlicht in den Katakomben vorgelesen bekamen. Wir können dieses Schweben in der Bedeutung nicht mit hören. Das können wir vielleicht noch – und an Ihrem Schmunzeln habe ich gesehen, dass es klappt, beim „Auseinandersetzen“. Aber nicht bei einem Wort, das wir nur in der Übersetzung hören.
Andeutungsweise: Was richtest du deinen Bruder? Könnten und müssten wir gleichzeitig hören als: Was suchst du dir aus, neben wem du sitzt und von wem du dich wegsetzt? Das steht uns nicht zu, sagt Paulus. Die Sitzordnung macht Gott.
Und das ist die Ecke, an der dieser Text häufig missverstanden wird. Das wird so gehört wie: Gott ist der Richter, warte nur ab, du wirst dein blaues Wunder erleben. Freu dich nicht zu früh, das dicke Ende kommt noch. So wahr ich lebe, ihr sollt mich kennenlernen, so wird das Zitat oft verstanden, das Paulus hier, sehr verkürzt und zusammengestückelt, aus zwei Jesajastellen zusammen stückelt. So kann man es in der Tat verstehen, als ob es Angst machen soll: Maße Dir nicht an, über deine Geschwister ein Urteil haben zu dürfen! Du selber kriegst dein Urteil auch noch gesagt.
Nur, das Zitat heißt: Mir werden sich alle Knie beugen und alle Zungen werden beschwören und sagen: Im Herren habe ich Gerechtigkeit und Stärke. Wohlgemerkt: Alle werden auf die Knie fallen, aber nicht aus Angst, sondern vor Freude und Dankbarkeit.
Wenn wir also das Wortspiel des Paulus nachspielen wollen, dann allenfalls so: Gott ist Richter, denn er richtet auf. Und weil Gott aufrichtet, können wir uns mutig auseinandersetzen. Wir müssen nicht befürchten, dass wir dann auseinanderfallen.
Paulus beschließt diesen Abschnitt damit, dass er schreibt: Das Reich Gottes ist doch nicht essen und trinken, - und damit meint er: Dogmatik und Ängstlichkeit und „bloß nichts falsch machen“. Sondern das Reich Gottes ist Gerechtigkeit, Friede, Freude im Heiligen Geist.
Natürlich haben die Mutigen Recht. Natürlich heißt Gottes Liebe und seine Gerechtigkeit, dass wir frei sind, dass wir geliebt werden in all unserer Jämmerlichkeit. Natürlich haben die Recht, die sich freuen und lachen und tanzen und singen aus Freude über Gott. Natürlich richtet Gott auf und nicht zu Boden, - sagt Paulus. Das wissen wir doch.
Aber es gibt eben auch die Ängstlichen. Und die müssen wir uns gerade aussuchen, damit sie nicht noch ängstlicher werden. Wenn unser Lachen und unsere Freude über die Freiheit der Kinder Gottes anderen die Luft wegnimmt, dann ist da freilich etwas falsch, denn die Geschwister müssen alle dabei sein. Deswegen darf bei aller Auseinandersetzung nicht am Schluss übrig bleiben, dass wir so weit auseinander sitzen. Unsere Freude, unsere Freiheit muss anstecken, sonst ist sie krank. Unser Lachen muss die Anderen mitreißen, sonst reißt es etwas kaputt. Und schließlich ist unser Ziel und unsere Aufgabe, die Gemeinde aufzubauen.
Das Zusammen setzen geschieht wohl am besten dadurch, dass wir die leeren Plätze zwischen uns füllen mit Leuten, die wir mitbringen.

Amen

 
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