|
Eigentlich bin ich ganz anders, aber ich komme so selten dazu - Predigt am Übergang von Fastnacht zur Passion - dem Sonntag Invokavit, von Pastorin Susanne Bostelmann
Predigt für den 21.2.2010 (Invokavit)
14Da wir nun einen mächtigen Hohenpriester haben, der die Himmel durchschritten hat, Jesus, Gottes Kind, so lasst uns am Bekenntnis festhalten! 15Wir haben einen Hohenpriester, der über unsere Schwächen Mitleid empfindet. Jesus wurde ja genau wie wir in allem auf die Probe gestellt, aber er entfernte sich nicht von Gott. 16 Deshalb lasst uns mutig vor den Thron treten, an dem unser Unrecht vergeben wird, damit wir – wenn wir Hilfe benötigen – zur richtigen Zeit Barmherzigkeit empfangen und hilfreiche Zuneigung finden.
(Hebr. 4, 14-16, Übersetzung Bibel in gerechter Sprache
Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt
Liebe Gemeinde,
eigentlich bin ich ganz anders, aber ich komme so selten dazu… Dieser Satz von Ödön von Horvath steht als Motto über der evangelischen Fastenaktion für die 7 Wochen vor Ostern.
Eigentlich bin ich ganz anders, aber ich komme so selten dazu… In der Faschingszeit haben wir die Gelegenheit, mal eine andere Rolle zu spielen, zu der wir sonst nicht so kommen. Ich wollte als Kind eine Zeitlang immer gern Cowboy sein, so ein richtiger Held, der das Böse besiegt. Dann gab es natürlich auch die Phase als Prinzessin, liebreizend und wunderhübsch, der die Prinzen dieser Welt zu Füßen liegen, dazu mit der Zukunft, das gesamte Königreich einmal zu beherrschen. Und als ich etwas älter war, habe ich mich als Clown verkleidet, der sich traut, albern zu sein und so mitreißend, dass alle zum Lachen gebracht werden.
Ich habe das Verkleiden zum Fasching immer geliebt, denn es ist die Möglichkeit in eine Rolle zu schlüpfen, denn sonst komme ich so selten dazu. Es gibt nicht die Möglichkeit, sage ich mir - aber wenn ich ehrlich bin zu mir, muss ich auch zugeben: Ich kann diese Rollen gar nicht ausfüllen.
Ich bin – außer zu Fasching – nicht so liebreizend, dass mir alle Welt zu Füßen liegt, weil ich eben normal hübsch und normal begabt bin, wie viele andere auch.
Ich bin auch keine Heldin wie die Cowboys. In Wirklichkeit habe ich Angst vor Streit, manchmal Angst, meine Meinung zu vertreten, weil ich denke, dass sie vielleicht nicht gut ankommt und ich dann nicht mehr akzeptiert werde. Eigentlich möchte ich mich auch mehr für die gute Sache einsetzen wie ein Cowboy das tut, aber dann fehlt mir doch die Zeit mich zu engagieren oder ich bin zu bequem, gehe doch nicht auf die Demo gegen Atomkraft, weil ich mich lieber einen Nachmittag im Garten erholen möchte.
Wenn ich mutig sein müsste, habe ich Angst oder bin träge. Wo ich begeistern möchte, fehlt mir dann manchmal die Ausstrahlung, und wo ich hinreißend sein möchte, stoße ich auch auf die Grenzen meines Wesens und Könnens.
Ich wäre gern anders, aber leider bin ich es nicht. Manchmal kann ich damit leben, aber oftmals wäre ich gern fehlerfreier, attraktiver, erfolgreicher, auch unangreifbarer. Es ist schön, zum Fasching einen Tag oder einen Abend diesen Traum zu leben. Aber nun war Aschermittwoch und ich muss mich wieder der Realität stellen: Ich habe meine Fehler und Schwächen, sie gehören zu mir.
Um dieses unangenehme Thema geht es heute, um die menschlichen Schwächen und das Unrecht, das aus ihnen entstehen kann.
Schwächen haben alle. Wir haben in der Evangeliumslesung gehört, dass auch Jesus nicht frei davon war. Er war schwach, als er in der Wüste fastete, er war hungrig und allein und ohne Ablenkung den Mächten der Versuchung ausgesetzt.
Der Satan, das heißt übersetzt: Gottes Gegenspieler, der verwirren und Tatsachen verdrehen kann, der hat das ausgenutzt. Drei Angebote hat er Jesus gemacht, aus denen können wir viel lernen über die menschliche Verführbarkeit.
Als Jesus hungrig war vom Fasten, hörte er den Verführer sprechen: Mach doch die Steine hier zu Brot, das liegt doch in deiner Macht. Nutze deine eigene Macht, nutze sie doch, dir zum Besten, sagt die Verführung. Und was ist daran so schlimm, habe ich lange gedacht, warum hat Jesus sich so vehement dagegen gewehrt? Mittlerweile habe ich verstanden, was der Satan wollte: Dass sich Jesus unabhängig von Gott macht, sich mehr auf sich selbst statt auf Gott verlässt. Dann würde er zwar für den Moment satt sein, aber der Lebenshunger könnte nicht mehr gestillt werden. Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sagt Jesus dagegen. Wer sich auf Gott verlässt, hat das Brot des Lebens. Ein Laib Brot hätte er im Nu verspeist und bald danach ist derselbe Hunger wieder da. Jesus hat es geschafft, sich auf Gott zu verlassen, der allein den Lebenshunger stillen kann und hat Jesus hat es geschafft, sich auf Gott zu verlassen und hat das verführerische Angebot ausgeschlagen.
Für mich steckt dahinter die Versuchung zu meinen, alle menschlichen Probleme seien durch menschliches Können lösbar / machbar. Ich habe z.B. einmal einen Arzt getroffen für künstliche Befruchtung, der sagte, es gäbe eigentlich kein (Fruchtbarkeits-)Problem, das nicht lösbar sei. Abgesehen davon, dass die Erfahrung vieler Paare anders ist, ist es eine unglaubliche Selbstüberschätzung. Für die Medizin zur Heilung gilt dasselbe: Es liegt viel Segen darauf, aber es gibt Grenzen der Medizin. Leben und Tod liegen in Gottes Hand.
Noch ein Beispiel: „Zu lange habe ich mich auf meine eigene Kraft verlassen. Ich dachte, ich brauche Gott nicht“, sagte mir auch ein Mann, der durch ein Schicksalsschlag an seine Grenzen kam. Da hat er gebetet, obwohl er das nie tat und eigentlich nicht wollte. „Jetzt übe ich es wieder“, sagte er, „und das ist gar nicht so leicht. Erst jetzt, mit dem Verlust, habe ich begriffen: Ich verdanke vieles Gott, nicht meiner eigenen Kraft.“
Als zweite Versuchung hörte Jesus: Verlass dich nur auf Gottes Macht, dann kannst du machen, was du willst, Gott wird es schon richten, du kannst dich sogar in die Tiefe stürzen und Gott wird dich behüten, flüstert ihm die Stimme des Verführers ein. Das passt für Süchte, deren Macht schnell unterschätzt wird. Man stürzt sich nicht unbeschadet in die Tiefe.
Ich denke dabei aber auch an das sich verändernde Klima und wie wenig ich, wie wenig unser Land und die Menschheit als ganze da gegensteuert, so als sei das alles schon nicht so schlimm, so als würde eine höhere Macht schon irgendwann die Notbremse ziehen und schlimmeres verhindern. Ein verführerischer Gedanke, wir könnten einfach so weiter leben und machen, als würde es schon alles nicht so schlimm werden.
Nein, sagt Jesus. Gottes Macht ist nicht dazu da, für meine, für unsere Interessen missbraucht zu werden. Gottes Macht kann ich nicht vereinnahmen, nicht bestimmen, wo Gott mir zu helfen hat und wie. Gott darf ich nicht auf die Probe stellen. Denn Gott ist größer als alle menschliche Vernunft und Gottes Wege anders und wunderbar.
Und dann hörte Jesus die dritte Einflüsterung: Alle Reiche dieser Erde sollst du beherrschen können, König über die Welt sein… Auch das ist eine große Versuchung, König zu sein, Prinzessin und alles nach meiner Vorstellung und meinem Willen gestalten zu können. Ich könnte bestimmen und alle tun, was ich sage, liegen mir zu Füßen. Das ist nicht nur reizvoll für Menschen an der Macht, so eine Sehnsucht gibt es in jedem Menschen. Aber das geht nicht zusammen mit Gott. Dann bin ich abhängig von der teuflischen Idee, dass ich das Zentrum der Welt sei, und damit habe ich mich von Gott abgewandt. Doch du sollst Gott lieben mit deinem ganzen Herzen und aller Kraft, sagt Jesus. Denn Gott schenkt dir das Leben und hat dich zur Freiheit berufen. Gott will dich nicht untertan machen, sondern zu einem Menschen, der sich geliebt weiß und deshalb Gott, die Mitmenschen und sich selbst lieben kann.
Eigentlich bin ich ganz anders, aber ich komme so selten dazu…
Im Zusammenhang mit meinen Schwächen heißt das: Eigentlich wäre ich gern ein besserer Mensch, aber ich spüre, dass ich meinen Schwächen manchmal unterliege. Ich komme nicht dazu, alles richtig zu machen, weil ich nicht so stark bin wie Jesus, der allem widerstehen konnte und sich nicht entfernt hat von Gott. Ich kenne die Versuchung und Verführung zu meinen, ohne Gott in meinem Leben auskommen zu können. Daraus entsteht im Kern auch das Unrecht der Welt.
Manchmal erliege ich meinen Schwächen, auch wenn ich es eigentlich nicht will. Aber auch wenn ich mich durch mein Denken und Handeln von Gott entferne, kann ich damit zu Gott kommen, das ist die gute Nachricht des heutigen Sonntages. Auch wenn ich ganz weit weg bin von Gott, ist Gott doch nicht weit entfernt von mir. Denn Jesus, Gottes Sohn, ist unser Fürsprecher bei Gott und kann uns immer wieder Gott nahe bringen.
Jesus, so heißt es im Hebräerbrief, der unser heutiger Predigttext ist, wurde ja genau wie wir in allem auf die Probe gestellt, aber er entfernte sich nicht von Gott. Er empfindet Mitleid über unsere Schwächen. Deshalb lasst uns mutig vor Gottes Thron treten, an dem unser Unrecht vergeben wird, damit wir – wenn wir Hilfe benötigen – zur richtigen Zeit Barmherzigkeit empfangen und hilfreiche Zuneigung finden.
Jesus weiß, dass Menschen sündig werden, falsch handeln aus Schwäche. Er ist diesen Weg auch gegangen, darum können wir auch mit den Schwächen und dem Unrecht, das daraus folgt, mit ihm vor Gott treten und um Vergebung bitten. Wir können immer wieder zu Gott kommen, auch nach einer großen Zeit der Abwendung, und um Kraft bitten, umzukehren, etwas zu ändern im eigenen Leben. Gott empfängt uns mit offenen Armen.
Eigentlich bin ich ganz anders, aber ich komme so selten dazu… Das heißt dann auch: Ich bin ja (auch) anders. Denn ich habe ja auch diese Sehnsucht danach, als Gottes Kind zu leben, wie Gott es mir in der Taufe geschenkt hat. Ich muss gar nicht Cowboy oder Prinzessin sein. Gottes geliebtes Kind bin ich schon immer, so wie ich bin, auch mit meinen Schwächen und Verdrehungen, die mich manchmal davon abhalten zu sein, wie ich sein könnte. Gott gibt mir immer wieder die Chance, dazu zu kommen: zu mir und zu Gott. Und wenn ich mich Gott nahe weiß und ich Gott mir nahe weiß, dann bin ich vielleicht das nächste Mal auch stärker gegen die Verführungen des Gegenspielers in mir und in der Welt. Die Passionszeit, die 7 Wochen vor Ostern, sind eine Gelegenheit, etwas einzuüben, was etwa so klingen könnte: Ich komme immer öfter dazu, so zu sein wie ich bin, denn ich bin ja Gottes Kind.
Amen
Susanne Bostelmann
|
|