|
Von der Erntekrone zur Richtkrone - 90 Jahre Siedlung Sasel - Ansprache zum Heimatfest am 17.09.09, von Thomas Jeutner
|
|
|
|
|
Urwald Sasel: Blockhaus am Stubbenweg 1920 |
|
|
|
|
Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Saseler, liebe Nachbarn und Freunde.
Wann sind Sie zum letzten Mal auf einen Baum geklettert?
Ich habe es gestern Nachmittag gemacht.
Und war in einen Birnbaum gestiegen,
im Garten von einem Pastoren-Kollegen.
Etliche große Körbe voll Birnen haben wir gepflückt.
Das Obst an zwei anderen Birnbäumen,
mit einer späteren Sorte,
haben wir hängen lassen.
Die Birnen brauchen
noch ein paar sonnige Tage.
Noch ein wenig von der herbstlichen Wärme,
über die wir uns an diesem Heimatfest-Wochenende freuen können.
Das viele heimische Obst in unseren Gärten
erinnert an einen fast vergessenen Zusammenhang:
Die Zeit vom Saseler Heimatfest
fällt immer in die Zeit der Ernte.
Die Verbundenheit mit unseren Gärten,
mit dem Stück Kartoffelacker und den Gemüsebeeten,
die früher in Sasel immer zum Grundstück gehört hatten –
diese Verbundenheit geht langsam verloren.
* * *
90 Jahre alt wird die Saseler Siedlung
in diesem Jahr.
Wer mag sich erinnert haben,
dass im Herbst 1919, am 1. Oktober,
hier am Markt das Siedlungsbüro eröffnet wurde,
von Julius Gilcher und Georg Goppelt.
In unserer aktuellen, sehr interessanten
und liebevoll zusammen getragenen Heimatfestbroschüre
ist davon zu lesen –
und auch vom Bedauern, dass der Siedlungsgedanke
kaum mehr als zwei Generationen Bestand hatte.
Wer von den Älteren von Ihnen
hat noch vor Augen,
wie die Erntefeste, und die Siedlerumzüge in Sasel gefeiert wurden?
Wie eine Erntekrone auf den Mast gezogen wurde,
verziert mit bunten Bändern?
Der Erntekranz - aus den Ähren gebunden,
war eine Erinnerung an unsere Verbundenheit mit der Natur,
mit dem Ertrag der Erde,
den Früchten der Felder und Bäume.
Kreisrund wie ein Ring, ohne Ende,
war der Erntekranz:
Als Zeichen für unsere Sehnsucht
nach dem Fortdauern
unserer Geborgenheit auf der Erde,
in den Häusern, in den Familien,
in den Nachbarschaften.
Was es für ein Schatz ist, genug zu essen zu haben,
und ein zuhause, das auch nach vielem Umherirren
zur Heimat werden kann,
das wussten unsere Alten gut.
Die Erntedankfeste in unseren Saseler Kirchen,
der Festumzug der Kinder mit den geschmückten kleinen Ernte-Bollerwagen,
sind eine Erinnerung daran.
Aber eine Erntekrone auf dem Markt –
das werden wir vielleicht nicht mehr erleben.
Die Zeit ist vorbei.
* * *
Aber es ist etwas wichtiges
aus jener alten Ernte-Zeit geblieben:
Das Feiern.
Geblieben ist unser Fest der Dankbarkeit,
auf dem sich alte Freunde treffen, Nachbarn zusammen feiern,
und Neuzugezogene Bekanntschaften schließen.
Geblieben ist unser Fest,
das uns den Schatz vor Augen führt,
von dem wir leben:
Die Gemeinschaft von Menschen
an ihrem Lebensort.
Und geblieben ist uns der altertümliche Name unseres Wochenendes:
„Heimatfest“.
Diesen Namen gibt es in keinem anderen Stadtteil Hamburgs,
und nur noch wenige Male in Deutschland.
* * *
Wenn auch die Birnbäume und Gemüsebeete
in den Saseler Gärten weniger werden,
tut sich dennoch etwas auf den alten Siedlergrundstücken.
Erst gestern wieder
habe ich es gesehen am Saseler Kamp:
Nach der Birnenernte bei meinem Pastorenkollegen
war ich mit meinem Fahrrad (Sasel fährt Rad!)
dort an einem Grundstück vorbei gefahren.
Vor ein paar Wochen noch
befand sich dort ein altes, kleines Siedlerhaus.
Gestern stand an der gleichen Stelle
schon der Rohbau eines Doppelhauses.
Die beiden jungen Familien, die dort bald einziehen,
feierten gestern auf der Baustelle im Garten,
mit den Zimmerleuten und Maurern.
Auf dem Dachfirst leuchtete die Richtkrone,
die bunten Bänder flatterten in der Abendsonne.
Ich freute mich.
Wenn uns auch die Erntekrone abhanden gekommen ist,
haben wir doch die Richtkrone
in Sasel wieder oft vor Augen.
Warum sie sich Sasel zum Wohnen ausgesucht haben,
fragte ich die Dame des Hauses.
„Sasel ist ein toller Stadtteil“, sagte sie,
vor ein paar Jahren schon war sie zugezogen,
und lebt hier mit ihrer Familie.
Freundschaften entstanden.
Die Nähe zu Nachbarn, die guten Möglichkeiten für Familien,
haben den Ausschlag dafür gegeben,
hier zu bleiben, und zu bauen.
Und Heimat zu finden.
* * *
Ich wünsche uns im 90. Jahr der Siedlung Sasel,
dass es uns gelingt, drei alte Gedanken unserer Vorfahren zu bewahren:
1. Aufgeschlossen zu sein für die neu Zuziehenden und Fremden, ohne Ansehen des Geldes auf dem Konto. (Und die ersten Siedlergenerationen sind wahrlich keine begüterten Leute gewesen).
2. Den Gedanken der solidarischen Nachbarschaftshilfe am Leben zu halten.
3. Uns Zeiten zu bewahren, einander zu treffen, miteinander zu feiern,
und dafür dankbar zu sein, was wir schaffen konnten – und was uns geschenkt ist.
Alle drei Gedanken
fließen zusammen in dem Wochenende,
das wir vor uns haben – wenn wir zusammen sind
auf dem Marktplatz,
im Saselhaus, in der Kirche, auf den Straßen.
Ich freue mich darauf.
Und erkläre hiermit
das 34. Saseler Heimatfest für eröffnet.
Ich bedanke mich für Ihr Zuhören.
* * *
|
|