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Gottesdienst

Audio-Predigt am 1. Sonntag der Passionszeit – 21. Februar 2021 - hier anklicken...

Das Gewissen, Judas (Maler Nikolaj Nikolajewitsch Ge/Lizenz: gemeinfreies Bild)

"Durch die Nacht..." - Predigt von Pastorin Olivia Brown

Sie können die Predigt hören, indem Sie im folgenden Kästchen auf die Pfeilspitze klicken.



Hier ist der Text der Predigt zum Lesen.

Predigttext aus dem Johannesevangelium (Kap. 13, 21-30):
Als Jesus das gesagt hatte, wurde er erregt im Geist und bezeugte und sprach: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Einer unter euch wird mich verraten. Da sahen sich die Jünger untereinander an, und ihnen wurde bange, von wem er wohl redete. Es war aber einer unter seinen Jüngern, der zu Tische lag an der Brust Jesu, den hatte Jesus lieb. Dem winkte Simon Petrus, dass er fragen sollte, wer es wäre, von dem er redete. Da lehnte der sich an die Brust Jesu und fragte ihn: Herr, wer ist's? Jesus antwortete: Der ist's, dem ich den Bissen eintauche und gebe. Und er nahm den Bissen, tauchte ihn ein und gab ihn Judas, dem Sohn des Simon Iskariot. Und nach dem Bissen fuhr der Satan in ihn. Da sprach Jesus zu ihm: Was du tust, das tue bald! Niemand am Tisch aber wusste, wozu er ihm das sagte. Denn einige meinten, weil Judas den Beutel hatte, spräche Jesus zu ihm: Kaufe, was wir zum Fest nötig haben!, oder dass er den Armen etwas geben sollte. Als er nun den Bissen genommen hatte, ging er alsbald hinaus. Und es war Nacht.


Liebe Gemeinde,

Und es war Nacht. Aber keine laue Sommernacht mit Glühwürmchen, die vertrauenswürdig den Weg erleuchten. Auch der Mond ist nicht sichtbar. Im Dunkeln verstecken sich keine Liebenden zwischen Gräsern am Seeufer. Heute hört man keinen tosenden Gesang aus der Ferne, kein freudiges Getümmel von Menschen, die feiern und bis zum Morgengrauen tanzen.

Unsere Nacht ist kalt, sie ist finster. Ein schleichender Nebel breitet sich langsam auf dem Boden aus. Irgendetwas Furchtbares liegt in der Luft: Verderben, Irrsinn, Verrat. Wir können es förmlich riechen. Es ist ein Geruch, der Unheil verheißt, und er kriecht in unsere Nase.

Und es war Nacht. Und in dieser Dunkelheit nehmen wir einen Schatten wahr, und dieser Schatten hetzt wie ein getriebenes Tier über die Felder. Und wir hören, wie die schweren Münzen im Beutel klingen. Es ist Judas, der seinem Schicksal nicht entkommen kann. Er wird Jesus verraten, er wird seine Freunde ausliefern, er wird sich selbst verleugnen und all die Liebe veröden lassen, die ihn als Mitglied der Zwölf bin hierhin getragen hatte. Für ihn ist ein anderer Weg vorgesehen.

Gerade noch haben sie sich untereinander die Füße gewaschen, die zwölf Verbündeten, als Zeichen ihrer Zuneigung füreinander. Sie alle sitzen um Jesus herum, ihren Herrn und Wegweiser. Und dieser Wegweiser sagt, ruhig und gelassen: „Aber es muss die Schrift erfüllt werden: ‚Der mein Brot aß, tritt mich mit Füßen.’“ (Joh 13,18; vgl. Ps 41,10) – „Was bedeutet das?“, fragen sich die Jünger: ‚Der mein Brot aß, tritt mich mit Füßen.’ Verwirrt schauen sie sich an, mit Augen, die noch nicht verstehen können. Nur ER weiß um die Wahrheit: Jesus. Er weiß um das, was geschehen muss. Er weiß, was die Nacht bedeutet und sieht den Schreckensnebel, der herannaht. Wie er sich auf dem Boden heranschleicht. Ins verunsicherte Stimmengewirr der Jünger hinein, spricht Jesus mit fester Stimme und schaut sie alle an: Einer von euch wird mich verraten. – „Bin ich es?“, fragt sich der eine. – „Ich doch nicht!“, sagt sich der andere. Und einen Moment später hält Jesus den Bissen in der Hand, den er eingetaucht hatte. Er tropft vor sich hin.
Judas hat noch den Geschmack von diesem Bissen auf der Zunge, als er eilig durch die Nacht läuft. „Was du tust, das tue bald!“, hatte ihm Jesus noch zugeflüstert.

Ich frage mich: Wie kann es sein, dass einer der Zwölf, einer der Vertrautesten Jesu, ein Standpfeiler des ‚inner circles’, den Auftrag bekommt, das Wissen um den Aufenthaltsort Jesu an seine Gegner weiterzugeben? An Jesu Widersacher, die ihn auslöschen wollen. Allem Anschein nach kann und soll es nicht anders sein, kein Ausweg ist in Sicht. Jesus muss zu Gott zurückkehren, um das zu vollenden, was durch ihn begonnen wurde. Und der keuchende Judas, der durch die Nacht eilt, ist eine Art Werkzeug, das die Geschichte in diese Richtung vorantreibt. Es liegt deshalb nahe zu fragen: Ist dieser von der Dunkelheit besessene Judas nicht gerade durch seinen Verrat unverzichtbarer Bestandteil der Geschichte, die letztendlich zum Heil führen soll? Ohne Judas’ fatale Rolle wäre es nicht zur Verurteilung Jesu gekommen, nicht zur Kreuzigung und auch nicht zu Gottes größter Tat an ihm, nämlich zur Auferweckung von den Toten. Auf die Spitze getrieben: Ohne die ‚dunkle Seite der Macht’ gäbe es keinen Weg zum Licht, keine Erlösung, keine Befreiung von den Schattenseiten des Lebens. Auch unseres Lebens?
Was kann diese Ambivalenz von Licht und Schatten für unser Dasein als Menschen bedeuten? Sind wir nicht alle ein bisschen Judas? Ist Judas nicht der Inbegriff des Grundes, aus dem sich Gott den Menschen überhaupt zuwendet? Haben wir nicht alle Licht- und besonders Schattenseiten in uns?
Jetzt geht’s ans Eingemachte: Lassen Sie uns gemeinsam einen Blick in unser Innerstes werfen. Wir fragen uns: Haben wir jemals das verletzt, was wie lieben? Wurde uns jemals aus Liebe weh getan? Haben Sie jemals aus edlen, größeren Motiven heraus jemanden hintergangen? Hast du jemals einmal am Fenster gestanden, den Blick in die Ferne gerichtet, während dir ungehindert die Tränen über die Wangen liefen? Das Leben ist oft genug schmerzhaft: Uns widerfährt Schmerz und wir kommen nicht umhin, anderen Menschen Schmerz zuzufügen. Ob wir es wollen oder nicht: Wir können nicht verhindern, was unsere Existenz ausmacht. Ohne Schatten, kein Licht. Ohne mühsames Erklimmen des rauen Berges bei pfeifendem Gegenwind, kein Ausblick auf das sonnenbeschienene Tal. Tragen wir nicht alle Judas’ Geldbeutel bei uns?

Aber wir sind nicht verloren, so wie Judas nicht verloren ist. Denn Jesus selbst schickt ihn in die Nacht und Jesus selbst begleitet ihn durch die Nacht. Es braucht den Verrat des Judas für die Heiligung Jesu. Judas ist also kein Ausgeschlossener, kein Aussätziger, zu dem er oft degradiert wird. Er ist jemand, der mit seinen Licht- und mit seinen Schattenseiten als wichtiger Bestandteil des großen Ganzen angenommen ist. Von Gott.

„Einer von euch wird mich verraten“, sagt Jesus. Wir alle, die wir uns als Gläubige im Namen Jesu geistlich oder körperlich versammeln, wir alle werden über kurz oder lang irgendwann das verleugnen, woran wir glauben. Und wir haben es schon getan. In kleinen, unauffälligen Augenblicken – für Macht, für Geld, aus Verletzung, in Verzweiflung, aus Liebe zu einem anderen Menschen, aus Liebe zu uns selbst.
Und es war Nacht. Und in dieser Nacht schrie ich aus tiefer Not zu dir, Gott, und ich bat dich: „Erhöre mein Rufen. Dein gnädig’ Ohren kehr zu mir und meiner Bitt sie öffne, denn so du willst das sehen an, was Sünd und Unrecht ist getan, wer kann, Gott, vor dir bleiben?“ (EG 299)

– Und Gott antwortete: „Er liebt mich, darum will ich ihn erretten; er kennt meinen Namen, darum will ich ihn schützen. Er ruft mich an, darum will ich ihn erhören; ich bin bei ihm in der Not.“ (Ps 91)
So steht es auch geschrieben, in der Schrift.

Seien Sie behütet & bleiben Sie gesund!
Ihre Pastorin Olivia Brown

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