Sonntagsgruß
Sonntagsgruß für den 23. August - hier anklicken...
von Vikarin Stephanie Müller
Sonntagsgruß zu Lukas 18,9-14
Der Junge von nebenan ist drogensüchtig.
„Was haben die nur falsch gemacht? Mit unseren Kinder würde es nie soweit kommen…“, tratschen die Nachbarn.
Ein Fußgänger geht bei rot über die Ampel:
„Du Idiot!“,
schreit ihm eine Passantin hinterher.
Die Schwiegertochter geht nach einem Jahr Elternzeit wieder arbeiten:
„Wie kann sie nur? Warum kriegt sie überhaupt Kinder? Das hätt ich niemals gemacht.“,
denkt seine Mutter.
Der Kollege hat sich zum dritten Mal diesen Monat krank gemeldet:
„So oft kann keiner krank sein. Ich würd mich schämen immer wieder anzurufen!“,
lästert ein Mitarbeiter.
Die Kirche ist an Heiligabend voll:
„Die glauben eh nicht richtig an Gott, die kommen nur, weil’s halt dazugehört.“,
brummelt die Pastorin.
Liebe Gemeinde,
wie einfach wäre das Leben doch, wären wir alle wie die Pharisäer.
Pharisäer waren aufrechte Leute, tüchtig, ehrlich und rechtschaffen. Auf solche Leute ist Verlass.
Die braucht eine Gesellschaft, wenn sie funktionieren soll.
Die haben ihre Steuern pünktlich bezahlt, die haben gearbeitet, sie haben nicht auf Kosten anderer gelebt.
Die Pharisäer waren fromme Menschen.
Sie haben die Feiertage gehalten, haben versucht, gottesfürchtig zu leben.
Die Pharisäer haben ihren Glauben ernst genommen.
Wären wir alle wie die Pharisäer, bräuchten wir keinen Rausch. Wir gingen nicht über rote Ampeln. Wir hätten eine klare Rollenvertei-lung. Pflichtbewusstsein wäre unser Antrieb. Nicht nur an Weihnachten wäre die Kirche voll.
Aber liebe Gemeinde,
der Pharisäer, der hat auch etwas Unangenehmes an sich.
Er schaut auf andere herab. Er ist sich seiner Sache sicher. Seine Art zu leben ist die einzig richtige. Wer anders lebt, lebt falsch. Die-ses Denken macht den Mann für uns selbstgefällig, überheblich, hochmütig.
Als Pharisäer unterstellen wir anderen Eltern, ihre Kinder schlecht erzogen zu haben. Wir unterstellen Menschen, dass sie aus bloßer Ignoranz und immer über rote Ampel gehen; dass die junge Frau eine schlechte Mutter ist, weil sie auch ihren Beruf liebt. Wir unterstel-len Kollegen, dass sie blaumachen, gerade wenn die Krankmeldung montags erfolgt. Wir unterstellen, dass Menschen, die nicht jeden Sonntag einen Gottesdienst besuchen, schlechte Christen sind. Wir unterstellen also anderen Menschen Auffassungen oder Verhal-tensweisen, ohne ihre Situation und die Umstände zu kennen.
Als Pharisäer gehen wir davon aus, dass die Anderen ihr Leben auf sehr viel schlechtere Art leben als wir. Wir blenden aus, dass auch wir uns falsch verhalten. Wir stellen uns über andere. Hochmut - nennt es der Wochenspruch.
Von Charlotte Bronte stammen die Sätze:
„Festhalten am Herkömmlichen ist nicht sittliches Verhalten.
Selbstgerechtigkeit ist nicht Frömmigkeit.
Erstere schmähen heißt nicht letztere Anfechten.“
Selbstgerechtigkeit zu kritisieren, heißt nicht Frömmigkeit in Frage zu stellen. Das ist das entscheidende, auch in Jesu Erzählung. Denn fromm sind beide Männer, von denen er erzählt: der selbstbewusste Pharisäer ohne Zweifel und der unsichere und schuldbe-wusste Zolleinnehmer. Beide wollen mit Gott reden. Sie sind beide in den Tempel gegangen, weil sie das Bedürfnis haben, da zu be-ten, wo Gott ihnen ganz nahe ist.
„Herr, ich danke dir, dass ich nicht so bin wie viele andere.“, betet der eine. „Gott, sei mir Sünder gnädig.“, betet der andere.
Jesus stellt in seiner Erzählung unsere Unterstellungen in Frage. Er kehrt den Blick auf Gut und Böse um. Der geldeintreibende Zöll-ner wird zum Guten, weil er sein Verhalten nüchtern und realistisch vor Gott bringt. Der überkorrekte Pharisäer wird getadelt, weil er hochmütig ist und andere verachtet.
Zöllner und Pharisäer - das sind zwei Seiten, die in uns stecken. Mal haben wir einen ehrlichen Blick auf uns, mal belügen wir uns selbst. Demut und Hochmut sind oft ein Balanceakt.
Hochmut, liebe Gemeinde, könnte doch so ein schönes Wort sein! Hochmut, hoher Mut, großer Mut, großmütig sein. Daran will ich das nächste Mal denken, wenn ich Gefahr laufe vorschnell Unterstellungen rauszuhauen. Ich will hohen Mut, statt Hochmut. Ich will mutig auf Menschen zugehen, statt sie zu verurteilen. Mit hohem Mut kann ich Menschen anders sein lassen, ohne sie zu entwerten. Mutig können wir sein, denn Gott sagt von sich aus Ja zu einem Menschen. Gott braucht nicht den Vergleich mit anderen. Niemand muss zeigen, wie gut er oder sie ist.
Der Junge von nebenan ist drogensüchtig.
Ein Fußgänger geht bei rot über die Ampel.
Die Schwiegertochter geht nach einem Jahr Elternzeit wieder arbeiten.
Der Kollege hat sich zum dritten Mal diesen Monat krankgemeldet.
Die Kirche ist an Heiligabend voll.
Hochmut hilft hier nicht weiter. Aber wie könnten die Szenen mit hohem Mut aussehen?
Hochmut & Demut - das sind zwei Seiten, die in uns stecken. Doch ob Zöllner oder Pharisäer, vor Gott gibt es keine Rangordnung, sondern Gemeinschaft - die Gemeinschaft der Heiligen, der von Gott liebevoll Angesehenen, der Pharisäer und der Zöllner.
Amen.
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