Der gemeinnützige Verein fördert die Kirchengemeinde in Sasel...

Sonntagsgruß

Sonntagsgruß für den 28. Juni - hier anklicken...

von Vikarin Stephanie Müller

„Kleine Sünden bestraft der liebe Gott sofort!“
Liebe Gemeinde, ein Satz meiner Kindheit. Wenn ich irgendetwas Freches gemacht hatte und mir danach selbst etwas Dummes passiert ist, fiel der Satz. Er sollte oft lustig gemeint sein, nur so dahin gesagt… Aber der liebe Gott, der straft? Von welchem Gott erzählen wir unseren Kindern da?

Ich habe diesen Satz heute noch im Ohr. Und manchmal muss ich mir selbst auf die Zunge beißen, damit er mir anderen gegenüber nicht rausrutscht. Ich will ihn nicht sagen. Denn ich glaube nicht an den lieben Gott, der uns straft und schon gar nicht an die Schwere kleiner Sünden.

SÜNDE - so ein großes Wort der Kirche. Fette Großbuchstaben, dominant, abschreckend, raumgreifend, laut, verletzend, moralisch, schwer, bedrohlich.
Die Sünde ist in aller Munde: Wir begehen Shoppingsünden, können der süßen Sünde nicht widerstehen, singen „Kann denn Liebe Sünde sein?“ usw. Was mich daran stört, ist, dass all dieses Ge-rede von der Sünde den Eindruck macht, Gott sei gegen den Genuss - zu viel Schokolade als Sünde, durchtanzte Nächte als Sünde, die dritte Flasche Wein am Tisch mit Freunden als Sünde? Ist es wirklich das, was das Christentum unter Sünde versteht? Es klingt nämlich so, als hätten wir eine Wahl zu sündigen oder nicht. Als gäbe es Menschen, die ohne Fehltritte, Fehlentscheidungen, Fehlverhalten durchs Leben gehen. Vielleicht gibt es Menschen, die immer das richtige Maß und immer die richtige Mitte finden und nie auch noch die dritte Flasche Wein öffnen würden. Aber vielleicht ist immer die richtige Mitte finden, gar nicht für jeden immer das richtige Maß an buntem Leben. Ein Beispiel dafür liefert uns Jesus mit der Geschichte vom verlorenen Sohn. Dieser Sohn, der seine Familie mit all der Arbeit zurücklässt, der sein Erbe verprasst für ein umtriebiges Leben ohne Maß und richtige Mitte. Als er alles verloren hat und sich nicht mehr treiben lassen kann, kehrt er reumütig nach Hause zurück. „Kleine Sünden bestraft der liebe Gott sofort?“ Im Gegenteil: Der Vater erwartet ihn mit offenen Armen und feiert seine Rückkehr mit einem riesigen Fest.

„Der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist.“ (Lk 19,10), heißt es im Wochenspruch. Die Sünde des verlorenen Sohnes besteht nicht darin, dass er zu viel getrunken, getanzt, geliebt hat. Es geht darum, dass er sich selbst verloren hatte.

Ich stelle es mir nicht einfach vor, der jüngere von zwei Brüdern zu sein. Das ewige Verglichenwerden, immer „der Kleine“ zu sein, unterschätzt zu werden… Ich glaube, in uns allen ist die Sehnsucht groß nach einem Ort, an dem wir nicht bewertet werden. Und einen solchen Ort gibt es nirgends außer bei Gott. Auch der heutige Predigttext fragt: „Wo ist solch ein Gott, der die Sünde vergibt und erlässt die Schuld?“ (Mi 7,18). Wo ist Gott in meinem Leben?

Der verlorene Sohn hatte eine Gottesbegegnung zwischen den Schweinen und ihrem Mist. Ich glaube, Gott wurde in seiner Verlorenheit zu seinem Maß und seiner Mitte: „Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir.“ (Lk 15,18) Gott straft uns nicht in unserer Verlorenheit, aber er stellt unsere Maßstäbe in Frage. Der Sohn weiß plötzlich, wonach er sein Leben ausrichten will. Wenn Gott mich ansieht, wird meine eigene Lieblosigkeit genauso sichtbar wie meine Sehnsüchte. Der verlorene Sohn er-kennt sich in Gottes Blick und ist nicht mehr verloren. Er findet sich.

Der Predigttext für heute verspricht uns: „Gott wird alle unsere Sünden in die Tiefen des Meeres werfen.“ (Micha 7,19) Ich finde, das ist ein schönes Bild. Was in der Tiefe des Meeres landet, ist nicht weg. Aber es muss nicht mehr schwer auf unserem Herzen liegen. Es gibt Dinge, die wir uns selbst nur schwer verzeihen können. Was wir versuchen zu verdrängen, klein zu reden, abzustrei-ten, kommt uns wieder entgegen gespült - wie Plastikmüll im Meer. Was Gott aber ins Meer wirft, umspült uns nicht länger.
Vielleicht hilft dieses Bild: Stellen Sie sich unsere Sünden als Seeglas vor. Sie kennen das alle: glattgeschliffene Scherben, die wir am Strand finden. Ich stelle mir vor, wie das Meer unsere kantigen Sünden umspült und zarter und kostbarer wieder herausgibt. Dieses Bild soll unsere Fehler nicht schön reden, aber sie bekommen eine andere Wertigkeit. Bonhoeffer hat gesagt: „Ich glaube, daß Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will.“ Weil Gott in und trotz allem bei mir bleibt, kann ich mutig durchs Leben gehen. Ich kann wagen, ich selbst zu sein und mich einzusetzen, für das was mir wichtig ist. Dass ich dabei nicht immer das richtige Maß und die richtige Mitte finde, gehört zu mir, wie zu allen anderen Menschen.

Wo ist ein solcher Gott? Er ist mitten unter uns - Gott als unser Maß und unsere Mitte.
Amen.

Zum Seitenanfang...