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Predigt am 13.3.2005 in der Vicelinkirche, über Isaaks Bindung (1. Mose 22,1-13), von Pastorin Susanne Bostelmann
Gnade sei mit euch von dem, der da ist und der da war und der da kommt.
Liebe Gemeinde,
Manchmal bin ich an einem Punkt angelangt, wo es keine Antworten gibt und allein Fragen bleiben. Einen Sinn kann ich nicht sehen. Erklärungen greifen zu kurz. Dann bleibt allein das Warum, und ich muss mich langsam vorwärts tasten in mir unbekannte Gefilde, in die kein Verstehen reicht und die immer mit einem Geheimnis umgeben bleiben werden.
Manchmal komme ich auch auf unbekannte Strecken meines Glaubensweges, wenn das, was geschieht, einfach nicht passt zu dem, was ich glaube, glauben möchte.
Auf so eine unbekannte und ungeliebte Glaubensstrecke möchte ich heute mit Ihnen aufbrechen.
Denn mitten in der Passionszeit werden wir mit einer Geschichte konfrontiert, die mich immer wieder verstört. Sie geht mir durch Mark und Bein, denn sie erzählt Ungeheuerliches von Gott und von Abraham, einem der großen Gerechten und dem Glaubensvater der drei großen Religionen.
„Isaaks Bindung“ wird sie in der jüdischen Auslegung genannt. Ich möchte mich mit Ihnen zusammen der Geschichte nähern, mehr in Fragen als mit Antworten, denn diese Geschichte zeigt für mich die dunkle, geheimnisvolle Seite Gottes.
Gleich zu Beginn die Ungeheuerlichkeit: Gott versucht Abraham.
Mir stockt der Atem: Gott führt in Versuchung? Heißt das: Gott stellt Abraham auf die Probe? Was prüft Gott? Abrahams Glauben? Seinen Gehorsam? Was könnte Gott denn prüfen und herausfinden, was Gott nicht schon längst weiß? Oder soll der Mensch, der versucht wird, etwas wissen, was er vorher noch nicht wusste?
Versuchung kann auch heißen: zu erfahren suchen. Aber da gilt dasselbe: Könnte Gott etwas zu erfahren suchen, was Gott nicht längst bekannt wäre? Oder soll der versuchte Mensch etwas zu erfahren suchen?
Gott versucht Abraham – das passt schlecht zu einem liebevollen, begleitenden Gott. Und doch beten wir: … Und führe uns nicht in Versuchung … Es gibt die Erfahrung: Gott versucht einen Menschen. Unsere Geschichte zweifelt nicht daran, stellt nicht einmal Fragen dazu. Trocken wird konstatiert: Gott versuchte Abraham. Und zwar auf folgende Weise:
Gott ruft Abraham. Nicht das erste Mal. Alles fing damit an, dass Gott Abraham und Sara aus Haran heraus rief. Steh auf und geh, hörte Abraham damals. Du bist gesegnet und sollst ein Segen sein, hatte Gott gesagt, und: ich will dich zu einem großen Volk machen. So brachen sie auf und gingen, ohne zu wissen, wohin. Sie mussten die Bindungen an die Heimat, an die Familie aufgeben, alles, was ihre Vergangenheit war. Gott zeigte ihnen ein neues Land.
Die Vergangenheit hatten sie hinter sich gelassen. Eine Zukunft aber hatte sich ihnen lange nicht eröffnet. Sara wurde und wurde nicht schwanger und bald waren beide zu alt, um noch fruchtbar zu sein. Da erst geschah das Wunder: Sara gebar einen Sohn, einen einzigen. Gott lächelt, nannten sie ihn. Er war ihre Zukunft.
Jetzt ruft Gott Abraham erneut. Und dieser antwortet mit seiner ganzen Person: Hier bin ich.
Was Gott diesmal sagt, ist ungeheuerlich: Nimm deinen Sohn, deinen einzigen, den du lieb hast, nämlich Isaak. Es klingt wie ein viermaliger Anlauf. Es ist eindeutig, aber doch scheint es, als höre ich nicht recht: geh hin und opfere ihn zum Brandopfer. Die ganze Wucht von Gottes Anspruch wird hier spürbar. Geh weg, sagt Gott, und ich zeige dir, wohin.
Abrahams Antwort ist das Gehen. Kein Ton sagt er, keine Widerrede, kein Warum und Wozu. Er, der gerade mit Gott noch gehandelt hat um die Gerechten in Sodom und Gomorra, sagt nichts. Abraham geht wie damals. Ungewiss ist das Ziel, ungewiss ist die Zukunft. Gott wird das Ziel benennen und die Zukunft erhellen. Wie vermag er nur, diesem Auftrag entgegen zu gehen: Isaak als Opfer…
Drei Tage geht er schweigend und Isaak mit ihm. Die Geschichte sagt nichts darüber, was sie denken oder sagen, keine Andeutung, was in ihnen vor sich geht. Sie gehen, als hätten sie nur Augen für den Ort, den Gott zeigen wird.
Das Gehen ist die Mitte des Textes. Hier ist etwas gesagt über unseren Glauben. Das Leben mit Gott: vielleicht ist es ein dauerndes Gehen zu Zielen, die allein Gott setzt. Vielleicht verstehen wir die Wege Gottes erst im Nachhinein, wenn Gott an uns vorübergegangen ist und wir Gott und unseren Wegen nachschauen. Vielleicht lässt sich erst im Nachgehen begreifen, was von einem festen Standpunkt aus unbegreiflich bleibt. Manchmal müssen wir auf Wegen gehen, die uns beim Gehen als Versuchung erscheinen; vielleicht werden wir im Nachgang, im Nachhinein, verstehen, dass es weniger um Versuchung als um dauernde Bindung und Entbindung geht?
Es ist ein Unterscheid, über Versuchung zu reden oder in Versuchung schweigend zu gehen. Abraham wusste: Gott hat gerufen. Werden wir auch wissen, dass Gottes Stimme uns ruft, die uns als Versuchung erscheint? Was werden wir dann in Erfahrung bringen?
Kurz vor dem Ziel erst die ersten Worte. Mein Vater, sagt Isaak, und Abraham antwortet: mein Sohn – alles Vertrauen liegt darin, Intimität zwischen dem Vater und dem heranwachsenden Sohn, die sich entbinden müssen und binden allein an Gott.
Isaak fragt den Vater: wo ist das Opferlamm? Mein Sohn, Gott wird sich ein Schaf als Opfer ersehen.
Wie kann Abraham das sagen? Er weiß doch von Gottes Auftrag. Verschließt er nur die Augen davor, was er tun soll, oder ist sein Glaube so fest, sein Vertrauen in Gott so groß, dass er glaubt, was er sagt? Gott wird es sich ersehen. Glaubt Abraham an Gott gegen Gottes Auftrag?
Wird Gott sich etwas ersehen? Oder will er nur grausam Gehorsam prüfen? Lange erscheint das Letztere der Fall zu sein.
Abraham bindet Isaak auf dem Feuerholz. Der Sohn liegt gebunden auf Gottes Altar. Was mag in Abraham vorgegangen sein? Niemals, hoffe ich, muss ich in eine solche Situation kommen. Führe uns nicht in Versuchung, Gott!
Gott wird sich ein Opferlamm ersehen. Christliche Ausleger haben von Anfang an hier einen Hinweis auf den Tod von Jesus gesehen. Sie sagen: Kein Mensch muss geopfert werden. Denn das Opfer ist in Jesus Christus geschehen. Aber auch diese Vorstellung ist zu hoch, als dass ich sie begreifen könnte: Hat Gott seinen einzigen Sohn geopfert? Oder ist Gottes Sohn den Weg des Gottvertrauens zu Ende gegangen, so wie Abraham einst ging: in Versuchung geführt, aber die Augen allein auf das Ziel gerichtet. „Herr, wenn es geht, lass diesen Kelch an mir vorüber gehen. Aber nicht meiner, sondern dein Wille geschehe.“
Jesus hat sich ein für alle Mal gebunden an Gott und damit uns alle entbunden von der Macht des Todes.
Nicht meiner, sondern dein Wille geschehe, Gott. Wir werden auf Gott verwiesen. Ist das eine Antwort? Könnte es sein, dass die Versuchung darin besteht, dass wir uns anmaßen, Gottes Wege zu verstehen und zu begreifen? Dass wir unseren Willen mit Gottes Willen messen wollen?
Gott wird es ersehen. Abraham setzt gegen die Angst immer wieder auf das Vertrauen zu Gott. Ich weiß nicht, wie Abraham das schafft.
Viel bleibt offen in dieser Geschichte.
Da ertönt die Stimme des Engels: Abraham! und noch einmal: Abraham! - damit der in sein Tun Eingebundene auch wirklich hört, aufhört und hinsieht. Der Ruf löst, was gebunden ist an Vorstellungen und Absichten.
Da ist der Widder zum Opfern. Isaaks Fesseln werden gelöst. Gott wird einlösen, was verheißen ist. Gott wird auflösen, was gebunden ist, was sich an Fragen verknotet hat. Gott wird erlösen aus aller Versuchung. Und das, was als Versuchung erscheint, wird aufhören, Versuchung zu sein.
Ist das die gute Nachricht dieser Geschichte? Ist das die Hoffnung, dass alle Versuchung und Angst nicht vergeblich war? Weil Gott erlöst?
Was hat Gott nun über Abraham und Isaak in Erfahrung gebracht, wo Gott doch schon alles weiß?
Was haben Abraham und Isaak in Erfahrung gebracht?
Ich lasse die Fragen offen.
Und was bringe ich über mich in Erfahrung, wenn ich der Geschichte nachgehe und alles vom Ende betrachte?
- Ich muss offene Fragen aushalten, denn Gott lässt sich nicht von Grund auf erklären. Vielleicht ist das etwas, was ich lerne. Abraham hat nicht nach Erkenntnis oder Verstehen gesucht, sondern ist aufgebrochen. Über Angst und Zweifel, Wüten, Entsetzen oder Empörung ist nichts berichtet. Vielleicht gab es sie auf dem langen Weg, den die beiden gegangen sind. Aber für den Ausgang der Geschichte sind sie nicht wichtig.
- Wichtig ist das Gehen, das Losgehen. Immer wieder aufbrechen. Glaube ist nicht etwas, das wir beständig ein für alle mal „haben“. Glaube ist Gehen mit Gott.
Ich hätte uns gern eine gefälligere Geschichte mit auf den weiteren Weg gegeben. Aber das Leben ist nicht immer gefällig.
Schmerz und Leid gehören dazu wie die offenen Fragen und die Freude am Leben. Leicht ist es nicht, aber das ist das aufregende an unserem Glauben: Wir werden auch herausgefordert mit Themen wie der Passion und dem Leiden und Texten wie diesen, die Steine des Anstoßes sind – schmerzhaft, aber vielleicht bringen sie etwas ins Rollen, wenn wir sie nicht umgehen.
Glücklicherweise sind sie nicht die einzigen Texte. Auch Abraham zehrte sein Vertrauen von Gottes wunderbarer Verheißung: Du bist gesegnet und sollst ein Segen sein.
Mit Segen und den Steinen des Anstoßes im Gepäck lassen Sie uns gehen in das Land, das Gott uns zeigen wird.
Amen
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