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Predigt zum Epiphaniasgottesdienst am 6.1.2003, Thema: „Maria machte sich auf“,
von Pastorin Susanne Bostelmann

Maria (mittelalterliche Darstellung)

Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt.

Liebe Gemeinde,
Auf dem Weg in die Kirche sind Sie alle unserem Motto für den Weihnachtskreis begegnet, es hängt oben am Turm: Maria machte sich auf.
Auch Sie haben sich heute abend alle noch einmal aufgemacht: vielleicht mussten Sie sich aufraffen, um nach dem Tageswerk noch einmal in die Dunkelheit zu gehen, vielleicht fiel es ihnen auch leicht, aufzubrechen, voller Freude auf die festliche Musik, darauf, Menschen aus dem Stadtteil zu treffen oder jetzt miteinander Gottesdienst zu feiern.

Das neue Jahr ist noch jung, und gute Hoffnungen und Wünsche werden miteinander geteilt. Am Beginn eines neuen Jahres sind wir empfänglich für Aufbrüche. Vielleicht haben Sie sich aufgemacht in das neue Jahr mit einem Vorsatz?!
Ich muss zugeben, dass ich mit Vorsätzen für das neue Jahr vorsichtig geworden bin – zu oft waren sie zu groß für mich, und die Realität, die Gewohnheit im Alltag hat mich zu schnell wieder eingeholt. Es ist nicht so einfach, sich auf zu machen, sich bereit zu finden, etwas neues anzufangen. Ich brauche viel Energie, Kraft, etwas, das mich zieht und überzeugt – über die Anfangseuphorie hinaus in den Alltag.

Am Beginn eines neuen Jahres sind wir empfänglich für Aufbrüche. So möchte ich mit Ihnen dem Aufbruch von Maria nachgehen, entdecken, was sie zu ihrem Aufbruch trieb.

Maria war eine sehr junge Frau aus dem Volk. Als eine von vielen lebte sie mit den gleichen Sorgen und Hoffnungen wie alle damals in Israel, das unter der römischen Besatzung litt. Rom war die Weltmacht in dem bekannten Erdkreis damals – und als Weltmacht nutzte sie Macht und Einfluss für ihre Interessen, so wie es heute nicht anders ist.

Pax Romana, den römischen Frieden verkündete Rom der Welt – und hatte keine Probleme, die Menschen der unterworfenen Völker, die in wirtschaftlicher und militärischer Abhängigkeit standen, auszupressen. Die Volkszählung war die Vorbereitung zu einer Steuererhöhung, und damit wurden weitere Expansionsbestrebungen, Kriege und Palastprunk bezahlt. Den römischen Frieden gab es nur für die wenigen im Reich, die von diesem System profitierten, z.B. die Mitläufer in der Provinz Israel wie König Herodes und seine Soldaten.
Um das System zu stabilisieren, errichtete der römische Kaiser einen Kult um sich. Er ließ sich anreden als Kyrie – übersetzt: Herr. Für das römische Reich gab es nur einen Herren, den Kaiser. Was er bestimmte, war alternativlos und im Einklang mit den Göttern. Neue Steuern, Kriege oder Gesetze, die Befehle des Kaisers waren Wort des Herrn, das Volk hatte keine Wahl. Das waren die Umstände damals.

Darum mussten sie zu Tausenden in Israel aufbrechen, um sich zählen zu lassen für die Steuererhöhung. Große Bewegungen entstanden im Volk auf das Wort des Kaisers hin – für alle brachten sie große Unannehmlichkeiten. Wer keine Beziehungen hatte, hatte eine Menge Umstände davon und vielleicht nur ein Schlafplatz im Stall.
Aber daneben, ganz im Verborgenen, in der hintersten Ecke der Weltgeschichte sozusagen, gibt es andere Umstände:
Eine einfache Frau aus dem Volk sieht einen Engel, und mehr noch als ihren Augen traut Maria ihren Ohren nicht: Maria soll in andere Umstände kommen, und in diesen, so sagt es der Engel, kommt Gott auf die Welt. Denn der Sohn, den sie gebären wird, wird Sohn Gottes genannt werden und König sein und sein Reich wird kein Ende haben.

Was Maria hört, stellt die Welt auf den Kopf. Das werden die neuen Umstände sein: Gott ist der Herr, und sein Reich wird der Sohn Gottes auf der Erde aufrichten. Das ist die Alternative zum Kaiserkult - zur Ideologie, dass nichts anderes möglich ist als die gerade bestehenden Verhältnisse. Gott allein ist der Herr, Kyrios. Kein Kaiser, kein Präsident der Welt darf sich das anmaßen.
Maria lässt sich bewegen von dieser welterschütternden Guten Nachricht. Gott kommt auf die Erde und braucht sie dazu. Sie, irgendeine aus dem Volk. Maria weiß, sie nimmt damit eine Menge Umstände auf sich. Gott mutet ihr eine Menge zu: Denn ehelos schwanger zu sein, dafür kann sie nach den Gesetzen gesteinigt werden. Aber Maria willigt ein. Sie will ihren Teil beitragen und sagt ja zu den anderen Umständen: in ihr und auf der Welt.
Dann hält es sie nicht mehr. Aufgewühlt, überrascht, erschrocken und begeistert macht Maria sich auf: sie macht sich bereit, Gott in sich ankommen zu lassen. Und sie macht sich auf den Weg. Denn diese gute Nachricht kann sie nicht für sich behalten. Sie muss weitergesagt, ausgetauscht, bedacht und besungen werden.
Übers Gebirge geht, ja eilt sie, ihrer Vertrauten Elisabeth entgegen, getrieben von der Vision einer Welt in anderen Umständen, beflügelt von der Hoffnung auf Gerechtigkeit und Frieden. Davon singt sie, dort bei Elisabeth, an deren Leib und Seele sich die neuen Umstände schon zeigen: Die kinderlose Greisin ist im sechsten Monat schwanger, spürbar regt sich das Neue, freudig begrüßt sie die gute Nachricht.
Für Gott ist nichts unmöglich. Das erfahren die Frauen am eigenen Leib.
Das Lied der Maria, das Magnificat, haben wir zu Beginn des Gottesdienstes gehört (und als Ps gesprochen). Es ist das Lied der neuen Umstände, wenn Gott in die Welt kommt und sie zurechtrückt: Niedrige werden erhoben, Hungrige werden satt. Blinde werden sehen, Lahme gehen. Die Throne der Mächtigen fallen und die Reichen werden leer ausgehen.
So wird es sein, wenn Gott auf die Erde kommt: Große werden klein, auf ein Normalmaß zurechtgestutzt, und die Verachteten werden nicht mehr übersehen.
So geschieht es schon, im Stall: Die Könige beugen die Knie und die armen Hirten erheben ihre niedergeschlagenen Häupter. Herodes, der Vasall des römischen Kaisers, spürt, dass sein Thron wackelt. Und es wird Friede sein auf Erden. Denn Herr ist Gott allein und nichts und niemand anders.

Im Stall, in der hintersten Ecke der Weltgeschichte, hat angefangen, was geschieht, wenn Gott sich einmischt auf der Welt. Hier wurden den Ärmsten wie den Herrschenden der Welt andere Umstände angesagt.

Der Anfang ist gemacht. Das weitere aber steht noch aus in der Welt.
Maria hat den Anfang erlebt. Sie musste auch erleben, dass die Gewaltherrscher ihren Sohn töteten. Und sie sah am dritten Tag, dass die Mächtigen und der Tod die neuen Umständen nicht zurückhalten können: Das Leben siegt.

Dass Gott in die Welt kommt, hat schon angefangen, aber vollendet ist es noch nicht. Gott braucht (immer noch, immer wieder) Menschen wie Maria, die Gott Geburtshilfe leisten. Maria ließ sich in andere Umstände bringen. Sie machte sich auf, weil sie guter Hoffnung war und um weiterzusagen, was sie in Bewegung gebracht hat. Diese Hoffnung bewegt die Welt und rückt sie zurecht.

Und darum will ich mir doch etwas vornehmen für das neue Jahr: Ich will mich nicht mit den gegebenen Umständen zufrieden geben, sondern ihnen wie Maria eine Alternative ansagen und meinen Teil beitragen zu anderen Umständen:
Es geht dabei z.B. um die Frage, wer für uns Herr ist, wer über Leben und Tod, über Krieg oder Frieden bestimmen darf: Das ist kein einzelner Präsident, kein Bundeskanzler oder Staatsoberhaupt: Gott allein ist der Herr.
- Gegen das Gerede von dem alternativlosen Krieg will ich reden von der Hoffnung auf Frieden,
- von der Hoffnung auf soziale Ausgewogenheit in unserer Stadt, die z.Z. der sog. inneren Sicherheit geopfert wird
- von der Hoffnung auf mehr öffentlichen Raum für Kinder und Jugendliche in unserem Stadtteil.

Maria machte sich auf, eine aus dem Volk, und da konnte Gott zur Welt kommen.
Amen

 
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