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Das Verhältnis der Deutschen zur Judenverfolgung. Ansprache zum Stolpersteingedenken am 20.1.2007, von Prof. Dr. Ulrich Bauche (HH-Berne)
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Stolpersteine in Sasel für Familie Hofmann |
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Ulrich Bauche: Ansprache am 20. Januar 2007 im Saselhaus
Wir gedenken der jüdischen Familie Hofmann, weil für sie im Fußweg vor ihrem ehemaligen Wohnhaus vier kleine beschriftete Metallplatten durch den Aktionskünstler Günter Demnig verlegt wurden. Der Künstler hat seine kleinen Denkmale zur Erinnerung an Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft als Stolpersteine benannt und in den letzten zehn Jahren über neuntausend in großen und kleinen Städten in ganz Deutschland gesetzt. Allein in Hamburg sind es bis jetzt schon etwa 1600.
Die Stolpersteine erweisen sich als kleine, unpathetische Denkmäler, die im Vorbeigehen von den Passanten wahrgenommen werden. Verstreut in der Stadt, erinnern sie an einzelne Personen, die an diesen Orten gewohnt oder gewirkt haben.
In dieser Form vermitteln die kleinen Denkmäler den beabsichtigten Eindruck, dass die Menschen, an die sie erinnern, inmitten der damaligen Bevölkerung gelebt, gearbeitet, sich bewegt haben.
Die damals, vor rund 65 Jahren aus ihrem Umfeld gerissenen Menschen hatten hier vorher Verwandte, Freunde, Bekannte, Nachbarn gehabt. Andere Leute aus dem Umfeld waren gegenüber jüdischen Menschen desinteressiert oder misstrauisch, oder, noch gesteigert, ablehnend, verachtend, ja hassend gewesen. Es ist heute schwer einzuschätzen, in welchem Mengenverhältnis die Einstellungen gestanden haben. Das war offenbar regional und sozial beträchtlich verschieden.
Ich habe von den damaligen Einstellungen der Menschen im Umfeld meiner Kindheit und Jugend unmittelbare Eindrücke und Erfahrungen bekommen und diese bewahrt.
Ich bin 1928 in Hamburg geboren und als einziges Kind aufgewachsen, der Vater aus christlicher und die Mutter aus jüdischer Familie,.
1935 kam ich in Hamburg-Hamm zur Volksschule. An ihr hatte es vorher Reformpädagogik gegeben. Nun waren Schulleiter und mehrere Lehrer aus dem Lande Lippe als überzeugte Nazis hier eingesetzt worden, den NS-Geist durchzusetzen.
Im gleichen Jahr hatten die auf dem Reichsparteitag verkündeten Nürnberger Gesetze, darunter das zur Reinhaltung des deutschen Blutes, mich zum jüdischen Mischling ersten Grades abgestempelt.
Ich merkte in meiner Schulzeit kaum direkte Diffamierungen, aber Ausschließungen von Veranstaltungen mit steigender Tendenz, besonders von Klassenreisen. Unter den etwa 30 Schülern meiner Klasse waren mindestens zehn, die meine Kameradschaft suchten. Außerdem hatte ich unter Jungen in unserer Nachbarschaft weitere verlässliche Freunde.
Ich besuchte diese Schule mit Realschulzweig bis zum Ablauf meiner Volksschulpflicht Ostern 1943. Mein Schulausschluss war, wie ich viel später, etwa vor zwanzig Jahren, bei einem Klassentreffen erfuhr, Gegenstand einer heftigen Debatte unter meinen Klassenkameraden gewesen, an der auch der Klassenlehrer, ein nur nominelles Parteimitglied, teilgenommen und auf die geltenden Gesetze hingewiesen hatte.
Mit einigen mir näher stehenden Klassenkameraden gehörte ich zu den Konfirmanden unter der Anleitung des Gemeindepastors der Dankeskirche in Hamm, dessen Kritik am NS-Staat ich deutlich heraushörte. 1943 erhielt ich eine nachträgliche Taufe und bald darauf die Konfirmation, um nicht als Geltungsjude nach dem Nürnberger Gesetz wegen unterstellter Erziehung zur jüdischen Religion gefährdet zu sein.
Ich habe in meiner Kindheit manche Einblicke in jüdisches Leben mitbekommen. Mein geliebter Großvater, Max Mendel, wohnte nur zehn Minuten Fußweg von unserer Wohnung entfernt. Mit ihm lebten eine Großtante, Schwester meiner früh verstorbenen Großmutter, und meine Urgroßmutter, Letztere noch ganz in jüdischer Tradition. Häufig war ich bei meinen jüdischen Verwandten, manchmal mehrmals in der Woche. Hier erlebte ich im September 1941 die Kennzeichnung der Wohnungstür mit einem Davidstern. Einen solchen mussten alle Juden außerhalb ihrer Wohnung als gelbes Stoffabzeichen fest an ihrer Kleidung tragen. Ausgenommen davon war meine Mutter als jüdische Partnerin in einer gesetzlich so genannten privilegierten Mischehe. Von meinen Verwandten, die den Stern tragen mussten, erinnere ich mich nicht, von Zwischenfällen gehört zu haben.
Um 1980 habe ich die Tagebuchaufzeichnungen von Dr. Theo Tuch gelesen. Er wohnte zusammen mit seiner Frau nach Zwangsumquartierung 1941 in Volksdorf, bei einem alleinstehenden jüdischen Hausbesitzer in der Straße Horstlooge: (Zitat aus der Eintragung vom 14.2.42 )
Eine mir unbekannte Frau hielt mich Besternten auf der Straße an und frug mich, ob ich nicht einen Kleiderschrank zu verkaufen hätte. Die Juden müssten ja doch alle ihre Sachen hergeben!
Einige Tage später berichtete er: Zitat:
Unser guter Landlord, ( also der Hausbesitzer) der nicht gerade sehr elegant angezogen ist, wurde, wie er erzählt, von einer armen Frau auf der Straße angehalten. Die Frau wollte ihm einen Groschen schenken, weil die Juden doch gar nichts mehr hätten. Unser landlord hat den Groschen nicht angenommen. Das ist schade.
Die Aufzeichnungen von Theo Tuch, die 1985 gedruckt erschienen sind, wurden danach auch zweimal in hiesigen Heimatzeitungen veröffentlicht. Sie schildern authentisch das schwierige Verhältnis der gekennzeichneten Juden mit der deutschen Bevölkerung.
Das Ehepaar Tuch war mit der Familie Mendel verwandt. Meine Eltern haben die Tuchs noch in Volksdorf besucht; die Tuchs wiederum meinen Großvater. Und zwar nachdem dieser im März 1942 mit den Seinen auf engstem Raum in ein sogenanntes Judenhaus neben der alten Synagoge in Altona zwangseingewiesen worden war.
Am 19. Juli 1942 wurden beide Familien, alles alte Leute, meine Urgroßmutter war 91 Jahre alt, mit der Eisenbahn unter Gestapo-Aufsicht in das KZ Theresienstadt deportiert. Keiner von ihnen überlebte das.
Gefährdet war auch das Leben meiner Mutter. 1938 war ihr der Unterricht als Gymnastiklehrerin für nicht-jüdische Menschen verboten worden. Von 1941 bis zum Kriegsende hatte sie unter Gestapo-Kontrolle Zwangsarbeit in der Altstoffverwertung leisten müssen.
Ab April 1943 war ich in einem als kriegswichtig geltenden Betrieb als kaufmännische Hilfskraft tätig. Eine Berufsausbildung war mir verboten. In Kenntnis meiner Lage zogen mich Mitarbeiter mit regimekritischen Einstellungen in ihr Vertrauen.
Als wir im Juli 1943 im Bomben-Feuersturm unsere Wohnung verloren hatten, wurden wir in einer Kleingartenkolonie in Bergstedt aufgenommen. Hier besaßen Freunde meiner Eltern Parzellen, die sie, zu gleicher Zeit wie wir ausgebombt, bewohnten, uns aber eine Unterkunft vermitteln konnten.
Diese Freunde kannten meinen Vater aus dem sozialdemokratischen Widerstand. Dafür war er zu fast drei Jahre Zuchthaus 1935 – 38 verurteilt worden. Etliche Frauen dieser Familien waren bis 1938 Schülerinnen meiner Mutter gewesen. In der Kleingartenkolonie lernten wir noch zahlreiche weitere Familien mit Anti-Nazi-Einstellung kennen, Jugendliche darunter, mit denen ich mich anfreunden konnte.
Als das Lager in der Saseler Feldmark, gelegen an meinem täglichen Arbeitsweg, mit KZ-gefangenen Frauen belegt worden war, und diese in Kolonne zum Bahnhof Poppenbüttel, morgens hin und abends wieder zurück marschierten, tauschten wir Jugendliche unsere Beobachtungen und Informationen darüber aus.
Mein Vater war seit Sommer 1944 als so genannter jüdisch Versippter von der Gestapo zum Hamburger Aufräumungsamt dienstverpflichtet worden, Trümmer zu räumen und Material zu bergen. Seine Informationen aus dem hier vereinten Kreis der politisch und wirtschaftlich erfahrener Zwangsarbeiter bestärkte uns hoffnungsvoll im Verhalten, um das Kriegsende und damit unsere Befreiung sicher zu erleben.
Im Februar 1945 erhielt meine Mutter den Deportationsbefehl für Theresienstadt, allerdings, da von der Post fehlgeleitet nach Bergedorf statt nach Bergstedt, erst nach dem Termin. Vierzehn Tage lang versteckte sich meine Mutter mit Hilfe kommunistischer Freunde in einer Kleingartenlaube in Garstedt. Sie trat dann, nach Klärung der Lage, unbeschadet wieder ihren Dienst in der Zwangsarbeit an.
Etwa zehn Tage vor der Kapitulation Hamburgs traf ich mich mit einem Freund aus der ehemaligen Hammer Nachbarschaft, dessen Eltern ein Rundfunkgeschäft betrieben. Ein hochwertiges Kurzwellenempfangsgerät sollte ich leihweise übernehmen, um es vor der drohenden Beschlagnahme durch die zu erwartenden britischen Besatzungstruppen zu bewahren. Bei uns als ausgewiesene Gegner des nun untergehenden NS-Regimes hielt mein Freund es für sicher. Wir hatten nach der Ausbombung kein Radio mehr besessen. Nun war ich in den letzten Kriegstagen dank des Geräts umfassend informiert.
Ich fühlte mich damals bereits ziemlich sicher und beobachtete mit Freude, wie wenig die Durchhalteparolen in der Bevölkerung noch geglaubt wurden. Die Kriegsmüdigkeit ließ auf das Ende hoffen. Die Ängste, die nun hervorbrachen, bezogen sich im Besonderen auf das Schuldgefühl, für die Judenverfolgung zur Rechenschaft gezogen zu werden.
Seit ich mit Ausstellungen auch zur Judenverfolgung befasst war, seit 1979 gestaltet am Museum für Hamburgische und der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, teile ich zusammen mit jüngeren Historiker-Kollegen eine heute verallgemeinerte Auffassung. Danach sind die Haltungen und Handlungen der deutschen Mehrheitsgesellschaft in der NS-Zeit gegenüber der Judenverfolgung von folgenden Gegebenheiten und Bedingungen her bestimmt:
1. Judenfeindschaft und Antisemitismus waren schon vor 1933 in Deutschland sehr ausgeprägt, in unterschiedlichem Ausmaß je nach den gesellschaftlichen Gruppen: Am wenigsten in der Arbeiterschaft, stark im Kleinbürgertum, beherrschend in der Akademikerschaft , prägend auch in großen Teilen des Besitzbürgertums. Das Ausmaß überall wurde unter Einfluss der NS-Propaganda verstärkt.
2. In der Wahrnehmung persönlicher materieller Interessen und der eigenen gesellschaftlichen Stellung passten sich die meisten Deutschen zunehmend dem vom NS-Regime propagierten Normen und Verhaltenserwartungen an.
3. In der Verfolgung der Juden wurde ihr Vermögen durch das NS-Regime geraubt und damit nicht nur der Staats- und Parteiapparat bereichert und gestärkt, sondern das Regime gab auch einem wachsenden Personenkreis die günstige Gelegenheit, eigene Interessen in diesem Verfolgungsprozess zum persönlichen Vorteil zu nutzen.
4. Das Verhalten gegenüber den Juden hing bei der Mehrheit der Bevölkerung von der generellen Einstellung zum NS-Regime ab. Während dessen Erfolge und Ansehen wuchsen, und dabei besonders die Popularität Hitlers stieg, verstärkte das die Judenfeindschaft. Als militärische Rückschläge eintraten, der Bombenkrieg sich in Deutschland stärker auswirkte, Versorgungsmängel spürbarer wurden, NS-Funktionäre deutlich an Ansehen verloren, änderten sich auch teilweise die Haltungen der Deutschen gegenüber den verfolgten Juden.
Ich hoffe fest darauf, dass die kleinen Denkmäler, die die Namen und Lebensorte der Opfer benennen, die Erinnerung an die NS-Verbrechen wach halten und damit für mehr Toleranz, für mehr Freiheit von Gewalt und mehr demokratischen Umgang in Zukunft beitragen.
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Prof. Dr. Ulrich Bauche (Historiker)
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